Dieses Haus - das Deutsche Haus -, Restaurant, Gaststätte, Versammlungsort, Geschäfts- und Wohnhaus hat seit dem Bau im Jahre 1918 eine für Reckenfelder Verhältnisse besondere Rolle gespielt. Und das immer und zu allen Zeiten, genauer: seit mehr als 90 Jahren. Ob es beim Depotbau oder direkt danach war, ob es in der Vor- und Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges war und in den Jahrzehnten danach, es war immer Dreh- und Angelpunkt des Geschehens hier vor Ort.
Reckenfeld: ein Ort im Münsterland, zugleich ein Stadtteil von Greven, östlich begrenzt durch die Eisenbahnstrecke Münster-Rheine, an der westlichen Seite zieht der ehemalige Max-Klemens-Kanal die Grenze. Folgt man den Reckenfelder Straßen nach Norden so ist Emsdetten erreicht, und auf den Straßen in südlicher Richtung liegt nach wenigen Kilometern, Greven, die Kernstadt.
Ist Reckenfeld nicht auch ein Ort - ein Dorf im Münsterland -, wie andere auch? Mitnichten! Reckenfeld ist mit keinem Ort in Deutschland - geschweige denn im Münsterland - zu vergleichen. Reckenfeld ist in seiner Entstehungsgeschichte einmalig. Weshalb? Weil der Ort aus einem im Ersten Weltkrieg gebauten Nahkampfmitteldepot (Munitionsdepot) entstanden und noch in seinen Strukturen - den Wohnblöcken, dem Straßen- und Grabensystem - erhalten geblieben ist. Das gibt es in Deutschland nicht noch einmal. Aber der Reihe nach:
Im August 1914 begann der Erste Weltkrieg. Die westliche Front lag zunächst in Belgien, später in Frankreich, und schon bald entwickelte sich dort aus einem Bewegungskrieg ein Stellungskrieg. Es wurden kilometerlange Schützengräben ausgehoben, und die feindlichen Soldaten lagen sich in kurzen Entfernungen gegenüber. Das veränderte auch das Angriffsverhalten: Man benötigte Mittel für den Nahkampf: Stiel- und Handgranaten, Sprengsätze, Minen aller Art.
Die Einrichtung von Lagerstätten für diese Munition war im Frühjahr 1916 derart dringend geworden, dass der Bau von drei Nahkampfmitteldepots - eins im Osten, zwei im Westen - angeordnet wurde, von denen jedes imstande sein sollte, einen halben Monatsbedarf des Feldheeres aufzunehmen. Der Dringlichkeit wegen war geplant, diese Bauten beschleunigt durchzuführen. Die Entwicklung der Nahkampfwaffen und die für sie zugleich fehlenden Lagerungsmöglichkeiten ließen bei dem damaligen Stand des Krieges die Voraussetzung zu, dass die zu schaffenden Depots auch im Frieden beibehalten werden mussten.
Und so wurde am 2. November 1916 im Kriegsministerium in Berlin entschieden: "Es wird der Auftrag zum Bau eines Nahkampfmitteldepots bei Münster erteilt."
Bei dem ca. 600 Morgen großen Gelände für dieses Depot handelte es sich um die Gemarkung Reckenfeld, die sich zwischen Greven und Emsdetten, entlang der Eisenbahnlinie Münster-Rheine und dem ehemaligen Max-Klemens-Kanal erstreckte. Ende 1917 waren die Gleise zu den und innerhalb der vier Einzeldepots mit den Bezeichnungen A, B, C und D gelegt. Als das Wetter im Frühjahr 1918 die Wiederaufnahme der Arbeiten zuließ, begann in einem Großeinsatz mit mehr als 1.000 Menschen der Bau von 208 eingeschossigen Munitionsschuppen, mehrerer Verwaltungsgebäude und sonstige Einrichtungen.
Und zu den Verwaltungsgebäuden gehört auch dieses Haus in der Mitte des Depots und ebenso heute noch in der Mitte Reckenfelds. Die Bezeichnung für das Gebäude: Doppelverwaltungsgebäude A/C. Von hier aus sollte die Verwaltung und Kontrolle der ein- und ausgehenden Munition für die Einzeldepots A und C erfolgen.
Das Depot wurde 1917 für Kriegs- als auch für Friedenszeiten geplant. Für die Aufrechterhaltung der Betriebsabläufe im Nahkampfmitteldepot Hembergen sollten über eintausend Menschen Arbeit finden und fast alle von außerhalb täglich ihre Arbeitsstelle aufsuchen. Deshalb erhielten die drei Verwaltungsgebäude für die Depots A/C (dieses Haus), B und D je eine Kantine und Aufenthaltsräume jeweils für Männer und Frauen.
Ein Vermerk vom Amt Greven: "Die Kantine des Parks (Depots) ist an Frau Thea Schmidt, Hembergen, verpachtet." (Anmerkung: Mit der Kantine könnte dieses Haus gemeint sein.)
Am 24. Juli 1918 teilte die Park(Depot)verwaltung dem Amt Greven mit, "[...] der Frau Schmidt wurde von hier aus wegen verschiedener Unregelmäßigkeiten auf den 15. August 1918 gekündigt. Die Münstersche Bauvereinigung hat Frau Schmidt aufgefordert, die Baukantine zu räumen. Ob ein neuer Pächter vorhanden ist, ist nicht bekannt."
Kantinenbetrieb und Verkaufsstellen während des Depotbaus: Während der ersten Phase der Bauarbeiten diente eine Baracke in Nähe des noch zu bauenden Doppelverwaltungsgebäudes als Kantine. Später, etwa ab August 1918, nachdem das Gebäude fertiggestellt war, wurde die Kantine in das fertige Gebäude verlegt. Die Kantine wurde auch vom Militär genutzt.
Nach Ende der Bauarbeiten ergab sich folgendes Bild für dieses Haus:
6.186,86 cbm umbauter Raum
997,88qm Baufläche
Betongrundmauern, Ziegelmauerwerksockel gefugt, aufgehende Wände geputzt, Keller, Erd- und Dachgeschoß, Kellerfußboden: Klinkerflachschicht. Kellerdecke: Ebene Ziegeldecke mit Eiseneinlage zwischen I-Trägern. Erdgeschoßdecke: Balkendecke mit Deckenputz, Fußbodenbelag teils Holz, teils Kunststeinplatten. Bodenräume: Holzfußboden, abgewalmtes Satteldach mit S-Ziegeln gedeckt.
Weitere Daten zu dem Gebäude Hier!
Die Kosten für das Doppelverwaltungsgebäude A/C beliefen sich auf 225.000 Mark (Vorkriegspreise, Erster Weltkrieg).
Ein Zeitzeuge
"Mein Vater, Anton Gauselmann, hat 1917 bei der Militärverwaltung auf dem Büro im Depot gearbeitet. Er hatte den Rang eines ‚Vizefeldwebels' obwohl er nicht zum Krieg eingezogen wurde. Er hatte als Kind eine Hand durch einen Unfall verloren. Vater trug eine Kunsthand. Sein Büro - eine Baracke - stand gegenüber dem Wohlfahrtsgebäude. Zu einem späteren Zeitpunkt ist er von der Dynamit Alfred Nobel GmbH als Lohnbuchhalter eingestellt worden. Sein Büro war im ehemaligen Doppelverwaltungsgebäude für A und C. Mein Vater ist bis 1921 täglich zu Fuß von Emsdetten bis zum Depot gelaufen."
Im Januar 1919 waren bis auf die Kantine und dem privaten Verkauf der Kippenbrocks sämtliche Verkaufsstellen (die sich zum Teil in den vier Einzeldepots befanden), aufgelöst.
In einem Schreiben vom 3. Mai 1919 teilte die Firma Büscher dem Amt Greven mit, dass sie den Kantinenbetrieb eingestellt hat.
Im Mai bzw. Juli des Jahres 1919 kamen zwei Familien mit all ihrem Hab und Gut als erste Siedler an. Die eine Familie bezog Räume im ehemaligen Doppelverwaltungsgebäude A/C und die andere Familie bewohnte eine leergewordene Baracke im Verwaltungsbezirk. Das waren die ersten Siedler in Reckenfeld! Die Namen erfahren Sie hier!
Nach Ende des Ersten Weltkrieges ging es um die Verwertung des Depots und speziell auch um dieses Haus: Im November 1919 unterbreitete Dr. Ing. Meyer vom Landesfinanzamt Münster Vorschläge dazu. Nach seinen Vorstellungen sollte das Doppelverwaltungsgebäude für den Ausbau von vier Wohnungen genutzt werden.
Das Doppelverwaltungsgebäude wurde im Dezember 1919 vom Neben-Artilleriedepot Hembergen - in dem sich die Geschäftszimmer befanden - benutzt.
Für die Einlagerung Verwertung und Vernichtung von Sprengstoffen im ehemaligen Nahkampfmitteldepot Hembergen war einzig und allein die Firma Dynamit Actien Gesellschaft (DAG) zuständig. Ihre Geschäftszimmer hatte die DAG 1920-1923 in dem Doppelverwaltungsgebäude eingerichtet.
Das Amt Greven schrieb: "[...] dass die Kantinenwirtschaft für die mit Zerlegungs- und Aufräumungsarbeiten beschäftigten Arbeiter eingerichtet wurde [...]"
Der Kreisausschuss hatte in seiner Sitzung vom 8. August 1923 dem Antrag vom 28. Juli 1923 auf Erteilung der Genehmigung‚ zum Betriebe einer im früheren Depot Hembergen gelegenen Kantine mit Beschränkung auf die Arbeiter genehmigt. Lagerverwalter Imm konnte den Kantinenbetrieb sofort eröffnen, jedoch vorläufig nur für vier Wochen. Besitzer des Hauses war ab August 1923 die EHG.
Hauptsächlich für ihre Beschäftigten in den Unterfirmen organisierte die EHG die Versorgung und beantragte die Einrichtung einer Schankwirtschaft.
Im März 1924 war es dann endgültig: "Dem Lagerverwalter Imm der Hemberger Speditions- und Lagerhausgesellschaft m.b.H. in Hembergen wird hiermit die Erlaubnis erteilt, dem in der Gemeinde Greven l.d.E., Bauerschaft Herbern, Flur 1 Parz. 1051/283, nach Maßgabe der Zeichnungen gelegenen Kantinengebäude eine Schankwirtschaft (Kantine) zu betreiben." Das teilte der Landrat Graf Westphalen mit.
Die Baubeschreibung: das ganze Gebäude ist mit einer Wasserleitung versehen und die Abwässer der Küchen gehen durch die Kanalisation und einen Emscherbrunnen in den Walgenbach. Kantine: 1 Theke, 1 langer Tisch, 1 lange Bank, 1 Ofen, 1 Spülwanne, 20 Biergläser, 12 Likörgläser, Wohlfahrtsraum; 2 Schränke mit 40 Fächern, 4 lange Tische, 8 lange Bänke, 1 Ofen für Essen aufwärmen, 4 Kleiderrechen.
Franz Buschkühl und Klara, geb. Brockötter aus Maestrup, hatten 1924 geheiratet. Sie zogen am 15. Mai 1925 nach Reckenfeld und wohnten im rechten Teil des ehemaligen Doppelverwaltungsgebäudes A/C. Dort ist Sohn Franz Buschkühl am 6. Oktober 1925 geboren.
Dachdecker Gerrit Bannink und seine Frau zogen am 13. März 1926 nach Reckenfeld. Sie mieteten die Wohnung in dem als Musterhaus ausgebauten ehemaligen Schuppen D 23 (heutige Falkenstrasse). Am 23. November 1927 wurde die Tochter Johanna Margarethe geboren. Sie verstarb am 10. Dezember 1927 im damaligen Doppelverwaltungsgebäude A/C.
Als 1926 die Arbeiten im Lager so gut wie abgeschlossen waren, beantragte Christian Geitz die Konzession für eine Gastwirtschaft in Verbindung mit der Erweiterung bzw. dem Ausbau der bestehenden Kantinenwirtschaft. Das Gebäude, welches der Eisenhandelsgesellschaft Ost (Ernst-Ludwig Wilde) gehörte, hatte Geitz 1925 von der Gesellschaft gepachtet, das teilte Wilde am 17. Mai 1929 mit.
Unabhängig von dem Konzessionsantrag des Christian Geitz, teilte der Kreisausschuß Münster, der für die Konzessionserteilung zuständig war, mit Schreiben vom 25.08.1926 dem Amtmann in Greven mit, daß die Erlaubnis zur Ausübung des Kantinenbetriebes erloschen ist, "[...] da die Arbeiten längst beendet sind und daher der Betrieb einzustellen ist. Dem jetzigen Pächter sei aber noch Zeit zu lassen, seine Geräte zu verkaufen. Sollten Sie jedoch die Beibehaltung eines Schankwirtschaftsbetriebes unter den veränderten Verhältnissen für notwendig erachten, ersuche ich dafür Sorge zu tragen, daß im Lager eine ordentliche Schankwirtschaft errichtet wird."
Christian Geitz führte das Haus für eigene Rechnung unter dem Namen Kantine; benannte es dann in Reckenfelder Hof um. Das war etwa im Frühjahr 1927.
Eine der ersten größeren Versammlungen im Reckenfelder Hof findet am 26. Februar 1928 statt: es geht um das Reichsschulgesetz (Ausrichter sind Zentrum und kath. Volksverein).
Der Bedürfnisfrage stand das Amt Greven zunächst positiv gegenüber. Aus einem später gestrichenen Vermerk des damaligen Amtmanns Hueske geht hervor, dass die Notwendigkeit auf Fortführung des Kantinenbetriebes zu bejahen ist, "[...] mit Rücksicht auf die in Hembergen untergebrachten Optanten und die im Entstehen begriffenen Siedlung. Das von der Regierung mit Staatsmitteln geförderte Siedlungsprogramm der Eisenhandelsgesellschaft Ost sieht die Schaffung einer großen Gartenstadt vor. Etwa 70 Familien wohnen heute schon dort. Da auch für die Folge mit weiteren Zuzug einer größeren Anzahl von Siedlern gerechnet werden muß und zur Zeit schon ein lebhafter Fremdenverkehr herrscht, möchte ich gleich dem Gemeindevorsteher die Bedürfnisfrage bejahen und bitte die Genehmigung zu erteilen."
Allerdings wurde aus nicht erkennbaren Gründen dieser Vermerk gestrichen und aus einer anfänglich zu Papier gebrachten Zustimmung wurde eine Ablehnung mit der Begründung: "Die Bedürfnisfrage wird verneint, da vorläufig die in Entfernung von 20 Minuten gelegenen Wirtschaft Micheel in Verbindung mit dem bisherigen Kantinenbetrieb genügt."
Zu dieser Zeit und in den Jahren danach kommt es zwischen Wilde und Geitz zu heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen. Themen sind u.a.: die Ansiedlungsgebühr, die den Siedlern aufgebürdet wird und die Wegerechte der EHG. Hier ein Auszug!
Weil beide nicht mehr miteinander können, will der Hausherr Wilde den Wirt Geitz aus dem Reckenfelder Hof verbannen. Geitz hat zwar dann doch die Konzession für den Reckenfelder Hof erhalten, Wilde will aber selbst den Laden führen.
Bevor Geitz die Konzession erhielt: "1928 wurde ihm vom Landkreis Münster die Konzession zur Führung einer Wirtschaft verweigert. Hintergrund war, dies läßt sich aus handschriftlichen Notizen des Amtmanns Hueske entnehmen, die Abhaltung von kommunistischen Wahlversammlungen in diesem Lokal. Zudem wurde Geitz vorgeworfen, die Polizeistunde nicht eingehalten zu haben."
Am 7. Juli 1928 ordnete das Amt Greven die Schließung des Kantinenbetriebes polizeilich an.
Über dem Büro der EHG (im rechten Teil des Hauses) prangte ein Schild "Neue Bierstube - Eröffnung am 15. September 1928 - Eingang hier!"
Geitz ist die Querelen satt und macht im Haus von Änne (Emil) Malkmus (C 65) einen eigenen Reckenfelder Hof auf. |
1928 |
Berlage wird am 6. November 1930 im Zwangsverfahren angeordnet "eine Spüleinrichtung im Schankraum anzulegen."
In einer Aufstellung vom 15. Januar 1931 "Behändigungsliste betr. Alkoholausschanks und an Brotverkauf in Gast- und Schankwirtschaften" werden für Reckenfeld mehrere Kneipen aufgeführt, mit dabei ist auch Berlage.
Am 31. Januar 1931 hält die KPD eine Versammlung im Deutschen Haus ab und im März desselben Jahres hat in Reckenfeld nur Berlage die Berechtigung Branntwein zu verkaufen.
Im Oktober 1931 ist Paul Leonhardt der Bahnhofswirt in Reckenfeld. Er beabsichtigt die Wirtschaft Berlage in Reckenfeld zu übernehmen. Leonhardt erklärt: "Vorläufig will bin ich willens, als Geschäftsführer, sogenannter Zapfer, des Berlage zu fungieren. Ich bitte, mir eine Bescheinigung für Herrn Wilde dahin auszustellen, dass Berlage mich als Geschäftsführer beschäftigen darf." Die Bescheinigung wird Leonhardt vom Amt ausgestellt.
Dann übernahm Heinrich Brinkmeyer das Deutsche Haus; die Konzession dafür wurde ihm am 13. April 1932 erteilt.
"Zu der Zeit hatte das Gebäude einen Bilanzwert von 30.693,68 Mark, nachdem es in der Eröffnungsbilanz vom 3. März 1933 mit 25.000 Mark veranlagt wurde. Diese Werte bezogen sich sowohl auf den Gebäudeteil als auch auf das 6.091 qm große Grundstück. Zum Verkauf vermerkte die Gesellschaft in ihrem Geschäftsbericht vom 31. Dezember 1939 unter anderem: 'In diesem Geschäftsjahr wurde das Deutsche Haus mit einem Gewinn von 31.049,62 Mark verkauft', und an anderer Stelle unter der Rubrik 'Gewinn' der Zusatz: 'Der hohe Gewinn der Gesellschaft ist vor allem durch den günstigen Verkauf des Deutschen Hauses entstanden.' Man kann also davon ausgehen, daß Heinrich Brinkmeyer für seine spätere Gaststätte, einschließlich des großen Grundstückes, etwa 70.000 Mark bezahlt hat."
"Die Siedlungsgesellschaft Münster-Land gelingt es, das Deutsche Haus, das nach dem Ausscheiden von Berlage seinen Namen behält, nach zahlreichen Verbesserungen an den hauseigenen Enteisungsanlagen, an den aus Delbrück bei Paderborn stammenden Heinrich Brinkmeyer zu verpachten. Dazu heißt es im Geschäftsbericht der Gesellschaft vom 31. Dezember 1934 unter anderem wörtlich: 'Die Gesellschaft selbst hat auch an anderen Gebäuden manche Verbesserung vornehmen lassen - und zwar in erster Linie am Deutschen Haus. Mit dem derzeitigen Pächter Brinkmeyer wurde nach langen Verhandlungen ein Mietvertrag auf die Dauer von drei Jahren abgeschlossen. Er hat auf eigene Rechnung eine neue Kegelbahn und später einen Schießstand angelegt. Wegen des Eigentumsüberganges dieser beiden Einrichtungen auf die Gesellschaft sind besondere Abmachungen getroffen. Die Herstellungskosten werden jährlich mit einem genau festgelegten Prozentsatz abgeschrieben. Herr Brinkmeyer erhält bei einem eventuellen Auszug nur den Betrag ausgezahlt, welcher noch nicht abgeschrieben ist.'"
"Dieser Pachtvertrag wurde im Jahr 1937 verlängert."
"Brinkmeyer, der mittlerweile in Reckenfeld bodenständig geworden ist, drängt die Siedlungsgesellschaft schon bald auf einen Kauf. Und da diese satzungsgemäß nicht abgeneigt, kommt es im Jahr 1939, nach weiteren deutlichen Investitionen durch die Gesellschaft, zum Verkauf des Deutschen Hauses an den bisherigen Pächter Heinrich Brinkmeyer. Das Gebäude hat einen Bilanzwert von 30.693,68 Mark."
Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Brinkmeyer einen Teil seiner Räume als Kindergarten vermietet.
Während des Zweiten Weltkrieges war im Deutschen Haus das Wirtschaftsamt untergebracht.
Innerhalb weniger Stunden mussten am 16. Mai 1945 die Blöcke A + B inclusive anderer Gebäude, darunter fiel auch das Deutsche Haus, geräumt werden. In den Kriegsjahren nach Deutschland verschleppte Polen wurden kurzerhand von den Engländern in die Wohnhäuser eingewiesen.
Unter Zurücklassung fast ihrer ganzen Habe, pferchte man die Familien unter oft unwürdigsten Umständen mit dem Rest der Bevölkerung in den Blöcken A + B und in den umliegenden Bauernschaften zusammen.
Das Deutsche Haus wurde allein für die Polen reserviert und die Familie Brinkmeyer fand Unterschlupf beim Bauern Schulze-Roberg in der Bauernschaft Herbern. Die Polen richteten sich häuslich - was auch immer darunter zu verstehen war - ein.
Über dem Eingang zur Küche ließ man einen Spruch anbringen, welcher später freigelegt wurde und ins Deutsche übersetzt folgenden Inhalt hatte: 'Mein Benehmen im Ausland sei so, daß ich mein Vaterland nicht beleidige'. Als die Polen 1949 abgezogen waren, fand man das Deutsche Haus in einem chaotischen Zustand vor.
Während der Polenzeit - nach 1947 etwa - fanden Feiern der Polen im großen Saal statt. Als Musiker traten Deutsche (Reckenfelder) auf. Alfred Riese (Trompete), Horst Hölzel (Schlagzeug und Geige) und Eugen Klaasen (Klavier).
Nach dem Auszug der letzten Polen aus Reckenfeld wurde im Mai 1950 im Deutschen Haus ein großes "Befreiungsfest von den Polen" gefeiert. schute
Ein Zeitzeuge
"[...] Und dann kam der Polenauszug, mit einem großen Feuerwerk wurde der von den Reckenfeldern gefeiert. Die Menschen standen bis zum C-Pad." (Anmerkung: Zu dieser Zeit bestand von dem heutigen Marienfriedweg noch freie Sicht bis zum Deutschen Haus.)
Die Familie Brinkmeyer begann noch im Januar 1950 mit der Renovierung des Deutschen Hauses. Es wurde für die damaligen Verhältnisse modern und einladend ausgebaut.
Es wurden im Saal für Kinder Filme gezeigt, bevor das Kino gebaut wurde. Der Eintritt betrug 40 Pfennig für einen Zeichentrickfilm. Wobei nicht alle Eltern sich das für ihre Kinder leisten konnten. Hertha Fabian kassierte das Geld ein.
Im großen Saal stand ein kleiner Schwarz-Weiss-Fernseher und es wurde Fußball geguckt. Z. B. die Weltmeisterschaft 1954. Eintritt wurde genommen von Heinrich Brinkmeyer. Für die Verzehrkarten im Wert von einer DM erhielt der Kunde 3 Bier.
Im Saal fanden nun auch wieder Veranstaltungen statt. Ob Karneval, Gesangsdarbietungen, Versammlungen usw.
Eine besondere Attraktion waren die vom Grevener Boxsportclub veranstalteten Boxkämpfe im Deutschen Haus, u.a. mit jungen Reckenfeldern: Willi, Walter, Georg Jerzinowski, Harry Huff, Leo Rieder und Oskar Quadflieg und einigen anderen.
Das Deutsche Haus hatte auch ein Fernsehzimmer, in dem einige Reckenfelder Familien z. B. samstags Unterhaltungssendungen ansahen: Peter Frankenfeld oder Kuhlenkampf. Einen eigenen Fernseher konnte sich zu dieser Zeit nicht jeder leisten.
Heinrich Brinkmeyer eröffnete unter größter Aufmerksamkeit der Reckenfelder Bevölkerung am 28. April 1950 ein Lichtspieltheater. Das Deli-Theater wurde am 21. Juni 1953 eröffnet. Für das Kino ließ Brinkmeyer einen Anbau errichten. Das Kino hatte einen Logenbereich, 1. und 2. Parkett und insgesamt 400 Sitzplätze.
Ein Zeitzeuge
"Die Architektur des Kinos hat mein Vater Bernhard Hundehege entworfen und auch die Bauleitung gemacht. Die ersten Arbeiten wurden von Handwerkern und Leuten ausgeführt, die bei Heini Brinkmeyer einen offenen Deckel, sprich Schulden hatten, die sie so abarbeiten konnten.
Für uns war das etwas Abenteuer, zu helfen und dafür mal ein Bier umsonst zu bekommen. Außerdem sollten wir ja später Platzanweiser werden, Rainer Deitmar und ich."
Heinrich Brinkmeyer sowie Hertha und Lothar Fabian haben am Eingang zum Kino die Kinokasse verwaltet. Samstags liefen ab 22.00 Uhr in der Spätvorstellung Krimis und Wild-West-Filme, auch welche mit Eddi Constantin. Fast alle wurden in Schwarz/Weiss-Produktion gezeigt. Filmvorführer war über diese mehr als zwei Jahrzehnte Rudolf Kusebauch
Nach dem das Kino 1973 seine Pforten schloss, ein Saunabad größeren Ausmasses für nur eine kurze Zeit nach Umbau darin betrieben wurde, brannte der Bau 1986/87 bis auf die Grundmauern nieder.
Irmgard Brinkmeyer heiratete 1959 den Bäckermeister Gottfried Hillmann und Gottfried war von nun als Mitinhaber im Geschäft tätig.
1960 wurde wieder einmal vergrößert und modernisiert. 1969 kamen eine neue Kegelbahn ebenso ein Kühlkeller dazu. Der Saal und die Toiletten wurden den Erfordernissen angepasst.
Tiefpunkt in der Geschichte des Deutschen Hauses waren der Tod seines Inhabers - Heinrich Brinkmeyer - im Jahr 1975. Drei Jahre später verstarb auch Änne Brinkmeyer. Mit diesem tüchtigen Wirtsehepaar ging auch ein Stück Reckenfelder Pionierzeit verloren.
Aus gesundheitlichen Gründen konnte das Haus von den neuen Inhabern Irmgard und Gottfried Hillmann nicht weitergeführt werden.
Es folgten Jahre der Verpachtung. Pächter:
Erwin Koban
Karl-Heinz und Lisa Lenuweit
K.-H. Flohr
Hoti GmbH
Mitte der 1950er Jahre wurde die Gaststätte langsam aber stetig zum kulturellen und gesellschaftlichen Mittelpunkt in Reckenfeld. Die Lage war sehr zentral, denn mittig im Ort gelegen, von beiden Blockgruppen A+B und C+D gesehen, gut zu erreichen.
So manche Vereinsgründung fand statt und der Saal und die im Keller befindliche Kegelbahn waren voll ausgenutzt. Zu Karnevalszeiten und zu anderen Festlichkeiten stand auch eine Sektbar für die Kunden zur Verfügung.
Nutznießer der Weiterentwicklung des Deutschen Hauses waren u.a.:
Laienspielschar
Karnevalsgesellschaft ReKaGe
Schützenverein Eintracht
Bund der Vertriebenen
Versehrtensportler
Männergesangverein
SC Reckenfeld hatte Jahrzehnte lang hier sein Stammlokal
Löschzug der Reckenfelder Feuerwehr
Siedlerverein und die Kaninchenzüchter
private Feiern: Hochzeiten, Geburtstage, sonstige Familienfeste etc.
auch als Wahllokal stand und steht das Haus zur Verfügung
sowie viele andere Vereine und Gruppen fanden damals ihr Domizil im Deutschen Haus und zum Teil sind sie diesem Haus bis heute treu geblieben.
Mieter ab 1950 bis heute (Auszug):
Drogerie Schweitzer
Bertelsmann Selbstbedienung
Hubertus Apotheke
Druckerei Rogner
Textilgeschäfte (mehrere)
Papierwarengeschäft
Polnisches Cafe
Blumen Hundehege, Blumen Handke, Blumen Schwarz
Cafe und Bäckerei Wilhelm Schulz
Computerladen
Schuhgeschäfte
Versicherungsagenturen
"Sohn Michael Hillmann erlernte den Beruf eines Kochs und arbeitete in rennomierten Häusern, um sich die Fähigkeiten zur Übernahme des Familienbetriebes zu erwerben. So übernahm Michael in Dritter Generation am 1. Mai 1991 die Gaststätte. Erst das Engagement von ihm und seiner Frau Nicole brachte dem Deutschen Haus, nach gründlicher Renovierung, alten Glanz zurück. Heute ist es nicht nur eine sehr gut frequentierte Gaststätte, sondern verfügt auch über einen anspruchsvollen Restaurationsbetrieb", so ein Zeitzeuge.
Aus der Chronik des Deutschen Hauses (Auszug)
"Da der Bierverleger Homann wegen zu hoher Aufwandskosten für Personal, Strom etc. das Deutsche Haus bis zum Ablauf des Pachtvertrages schließen wollte - es wären immerhin noch einige Jahre gewesen - erklärte sich Michael Hillmann bereit, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Durch den vielen Pächterwechsel hatte das Deutsche Haus seinen guten Ruf - den die Familie Brinkmeyer/Hillmann sich in harter Arbeit und langen Jahren aufgebaut hatte - schnell verloren. Es gab kein Essen mehr auf der Kegelbahn, die Räumlichkeiten wirkten nicht mehr einladend.
Michael Hillmann beschloß - vor seinem Dienstantritt im Deutschen Haus - erst einmal gründlich zu renovieren. Aus "ein bisschen streichen" oder "hier und da etwas verändern" ist, dank des Architekten Sabrowski und des Raumausstatters Kiener doch etwas mehr geworden.
Da im Februar 1991 das Karnevalfest aufgrund des Golfkrieges nicht stattfinden durfte, konnte mit der Renovierung schon zeitig begonnen werden. Innerhalb von nur vier Monaten erschien das Deutsche Haus in neuem Glanz.
Alte Räume wurde verändert und neue Räumlichkeiten geschaffen. In den Umbau eingeschlossen wurde auch der große Saal, der mit einer Akustikdecke ausgestattet wurde.
Am 01. Mai 1991 konnten die Türen vom Deutschen Haus wieder für jedermann geöffnet werden.
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Rückansicht. |
Das Deutsche Haus. |
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Quelle: Stadtarchiv Greven |
Mit einer Spezialkamera aufgenommen. |
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