Als der Erste Weltkrieg endete, war aus einer soliden und gut ausgestatteten Staatsbahn wie der KPEV (Königlich-Preußische-Eisenbahn-Verwaltung), mit deren Gewinn ein großer Teil des Staatshaushaltes finanziert wurde, ein völlig abgewirtschaftetes und marodes Unternehmen geworden.
Gemäß den am 11. November 1918 von den Alliierten Siegermächten in Compiègne aufgegebenen Waffenstillstands- und Vertragsbedingungen von Versailles vom 28. Juni 1919, mußten 8.000 Lokomotiven, 13.000 Personenwagen und 280.000 Güterwagen als Reparationsleistungen vom Deutschen Reich an die Siegermächte abgeliefert werden.
Den größten Teil mußte die Preußische Staatseisenbahn Verwaltung (PStV), Bezeichnung nach Abdankung des deutschen Kaisers und Königs von Preußen) hierzu beitragen und dies waren keine alten Fahrzeuge, sondern die neuesten Bauarten.
Der Verlust vieler Eisenbahnfahrzeuge führte zu einer Transportkrise, mit weitreichenden Folgen im gesamten Deutschen Reich.
Am 20. Januar 1919 schrieb das Demobilmachungsamt über die allgemeine Lage (Auszug): "Der Staatssekretär Dr. Koeth zur Kohlenlage im Ruhrgebiet: Seit dem 10. Januar 1919 ist die Lage bedeutend verschärft [...] Normale Eisenbahnwagengestellung arbeitstäglich: 24.000 Wagen. An den Tagen nach dem 10. Januar 19 waren es unter 7.000. Der Grund liegt darin, dass die Abgabe des rollenden Materials, insbesondere der Lokomotiven, den Eisenbahnbetrieb ungeheuer schwächt. Aus Mangel an Loks ist das Heranbringen der Wagen an die Zechen nicht möglich." Und weiter "[...] so wird dadurch die Lage solange nicht verbessert, als die Eisenbahn nicht imstande, ist mehr Kohlen zu fahren. Dies ist eine Lokfrage und in erster Linie eine Frage der Lok-Reparatur. Die Lösung der Lokfrage ist augenblicklich das allerdringlichste Problem. Hier liegt der Schlüssel der Lage.
Verkehrslage: Leistung der Militärzüge täglich durchschnittlich
250-260 Züge (zur Ablieferung an Entente)
rund 2.900 Loks sind bisher abgegeben, weitere Ablieferung folgt
Die Anforderungen sind sehr streng: Von 59.100 Wagen sind 37.000 zurückgewiesen worden
Die Arbeitsleistung in den Werkstätten sinkt weiter
Zahl der abgestellten Wagen Anfang Januar 1919 etwa 90.000 am 16. Januar 1919 auf 83.000 herabgegangen, zurückzuführen auf Lieferung an Entente
Vom 14.-16. Januar 1919 wird eine rigorose Sperre im Güterverkehr eingeführt
Vom 17.-20. Januar 1919 eine allgemeine Sperre, ausgenommen Lebensmittel, Vieh, Sprengstoffe für Bergwerke.
Die Lokfrage ist eine Werkstattfrage. Unsere Abgabe an Entente ist noch schwieriger als es der Anschein hat. Das Maß dessen, was wir noch zu liefern haben, ist sehr hoch. Die Bestände des Feldeisenbahnchefs sind erschöpft.
Die Reparaturen in den Eisenbahnwerkstätten finden fast nur noch für die Entente statt. Der Reparaturstand der Loks ist auf 38,4% gestiegen. Es wird in Doppelschichten gearbeitet, im einzelnen Abteilungen in Dreifach-Schichten."
Die Direktion Münster hatte ständig Schwierigkeiten, ihren Kohlenbedarf zu decken. Zu Ostern 1919 war der knappe Bestand an betriebsfähigen Loks und Wagen immer noch zu spüren. Sechs Monate nach Kriegsende entspannte sich die Lage im Güterfernverkehr. Mit Erlass vom 12. Juni 1919 hob der Minister für Öffentliche Arbeiten die Verkehrsbeschränkungen für Frachtgüter auf. Die Beförderung als Frachtgut war in den letzten Kriegsmonaten wegen unzumutbarer langer Beförderungszeiten in Verruf geraten.
Am 1. April des Jahres 1920 entstand aus den Länderbahnen des Kaiserreiches die Deutsche Reichsbahn (DR). Die noch junge Deutsche Reichsbahn ging daran, ihren Bahnbetrieb wirtschaftlicher und effizienter zu organisieren. Durch die Abgabe zahlreicher Lokomotiven modernerer Bauarten, mühte sich der Betrieb im Reich mit vielen veralteten Lokomotiven ab. Durch den Einsatz von neuen und leistungsfähigen Loks war es möglich, die Anzahl der Zugfahrten zu verringern und gleichzeitig die Anhängelasten zu erhöhen.
Ab 1920 wurden die bewährten preußischen Lokbauarten wie die "P8" (Personenzug-Schlepptenderlok, die spätere Reichsbahn-Baureihe 38), die "G8" und "G10" (Güterzug-Schlepptenderloks der späteren Reichsbahn-Baureihen 55 und 57), die "T18" (Personenzug-Tenderlok, die spätere Reichsbahn-Baureihe 78) und die "T16" (Güterzug-Tenderlok, die spätere Reichsbahn-Baureihe 94) in großen Stückzahlen gebaut.
Die Reparationsverluste wurden damit ausgeglichen und der Neubau von Lokomotiven wirkte wie ein Beschäftigungsprogramm auf die Industrie.
Ab 1922 wurde damit begonnen, die alten unwirtschaftlichen Loks auszumustern und der Wiederverwertung zuzuführen.
In einer Anweisung des Reichsverkehrsministers vom 1. Februar 1922 ist nachzulesen: "Betrifft: Ausmusterung von Lokomotiven: Es ist mit allen Mitteln dahin zu streben, die alten Lokomotiven, deren Wiederherstellung nicht mehr lohnt, und die unwirtschaftlich arbeitenden Lokomotiven aus den Lokomotivbeständen mit größter Beschleunigung auszuscheiden. Hierzu sind Lokomotiven von den einzelnen Eisenbahndirektionen auszumustern."
Für die Direktion Münster wurden für das Jahr 1922, 49 Lokomotiven genannt. In den Jahren bis 1925 gingen noch Hunderte von nicht mehr benötigten oder veralteten Lokomotiven der Direktion Münster, den Weg über Schrottverwerter in die Hochöfen der Stahlindustrie.
So wanderten in den Jahren 1922 bis 1925 viele der alten preußischen Naßdampfloks aus der Zeit um 1900 auf das Abstellgleis und wurden schließlich verschrottet.
Im ganzen Deutschen Reich etablierten sich Unternehmen, die sich mit der Zerlegung und Verwertung dieser Eisenbahnfahrzeuge ein einträgliches Geschäft sicherten.
"[...] Aber man fand sie nur noch auf den 'Friedhöfen' der Ausbesserungswerke, die voll waren von alten Maschinen der Gattungen S 1, und G 3. Einer der größten befand sich, in der im Kriege entstandenen Munitionsfabrik Kirchmöser, die inzwischen zum Ausbesserungswerk Brandenburg-West umgestaltet worden war. Täglich konnte man hier den Abtransport ausrangierter Lokomotiven beobachten. Angesichts des Mangels an Altmaterial machten nach Kriegsende alle möglichen Unternehmen Jagd auf alte Lokomotiven.
Gefragt war vor allem Buntmetall (kupferne Feuerbuchsen), aber auch Eisenschrott fand seine Abnehmer. [...] So war es überall im damaligen Deutschland. Was Wunder, daß man insbesondere an der Peripherie der Städte auf verwilderten Plätzen mit grasüberwachsenen Anschlußgleisen plötzlich alte Lokomotiven antraf!"
1922 wurde die Eisenhandelsgesellschaft-Ost GmbH mit Sitz in Berlin, Dessauer Str. 38, gegründet. Laut Handelsregister waren mehrere Geschäftsführer bestellt.
Geschäftsführer: Bernhard Wolf
Prokura: Ernst Ludwig Wilde
KP (Kollektiv-Prokurist): Kurt Marschner
Die Eisenhandelsgesellschaft hatte sich offenbar zur Aufgabe gemacht, aus den ausgemusterten Lokomotiven der Direktion Münster Kapital zu schlagen. Als Betriebsgelände schien das ehemalige Nahkampfmitteldepot Hembergen am besten geeignet zu sein. So bemühte sich die EHG um entsprechende Verträge bei den zuständigen Stellen.
Zwischen dem Landesfinanzamt und der EHG wurde am 9. Februar 1923 ein Vertrag unterzeichnet: (Verhandelt Münster, den 9. Februar 1923): "Es erscheint Herr Wilde, Prokurist der EHG aus Berlin und bittet um Vermietung eines Teils des Lagers Hembergen zur Verschrottung von Lokomotiven. In Frage kommen die Benutzung von etwa 3 km Gleisanlage am Übergabebahnhof mit Anschluss an die Reichsbahn und weiter bis zum Betriebsgebäude ferner das Betriebsgebäude und von noch zwei anderen Gebäuden im Verwaltungsblock zu Lagerung von Geräten bzw. Einrichtung von Geschäftszimmern und Unterbringung von Arbeitern." Unterzeichner waren: Muner als Präsident und Müller als Regierungsrat und auf der anderen Seite Wilde von der EHG.
Nach diesem Vertrag mietete die EHG einen Teil des Lagers zur "Verschrottung von Lokomotiven". In Frage kam die Benutzung von etwa 3 km der Gleisanlage am Übergabebahnhof mit Anschluß an die Reichsbahn (Anmerkung: Die ehemaligen Gleistrassen sind heute noch sichtbar) und weiter bis zum Betriebsgebäude (Anmerkung: Ein Teil der Gleisanlage des Abstellbahnhofes (das ist das Wohngebiet zwischen Bahnhofstraße und Grüner Grund) und das Gleis zum Betriebsgebäude gehörten ebenfalls dazu.) , ferner das Betriebsgebäude (Anmerkung. Heute die Fabrik "Primaflor" an der Industriestraße) und von noch zwei anderen Gebäuden im Verwaltungsblock zur Lagerung von Geräten bzw. Einrichtung von Geschäftszimmern und Unterbringung von Arbeitern (Anmerkung: Hier handelte es sich u.a. um das ehemalige Wohlfahrtsgebäude. Heute (2007) ist dort ein Kindergarten untergebracht).
"Das Fahrdienstleitergebäude hat der Amtmann mit einem Arbeiter belegt", heißt es an anderer Stelle. (Anmerkung: Dieser wird wahrscheinlich den eisenbahntechnischen Betrieb im Depot geleitet haben.)
Man kam überein, dass gegen eine zunächst 3-monatige Vermietung der noch näher zu bestimmenden Gleisstrecken und Gebäuden unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist andernfalls stillschweigende Weitervermietung auf 1 Monat stattfinden soll, nichts einzuwenden ist. Der Mietvertrag mußte mit der DAG abgeschlossen werden, da die DAG das Depot zur Einlagerung und Vernichtung von Sprengstoffen in Beschlag genommen hatte.
"Da der Mietzins, den die DAG zahlte, der heutigen Geldentwertung keine Rechnung trägt, die Gleise und Gebäude gegenüber der Inanspruchnahme durch die DAG einer stärkeren Abnutzung unterworfen werden, und das Landesfinanzamt in der anderweitigen Verwertung behindert wird, so wurde ein Entschädigung von 100.000,-- Mark für den Monat vereinbart, die monatlich im voraus gezahlt wird bei der Kasse der Hilfsstelle des Landesfinanzamtes Münster-Land. Diese Vereinbarung wird erst wirksam, wenn eine Verständigung der EHG mit der DAG vorliegt. Als Beginn der Mietzeit ist der 11. Februar 1923 in Aussicht genommen. Der Vertrag wird erstmalig bis zum 30. April 1923 in Geltung bleiben. Erster Kündigungstermin: 1. April 1923 - gez. Müller und Wilde.", so die Nebenabreden zwischen beiden Parteien.
Die ersten zu zerlegenden Loks rollten wahrscheinlich schon im März 1923 aus der für die Direktion Münster zuständigen Eisenbahn-Werkstätte Lingen an. Ein Beleg hierfür ist das Schreiben des Finanzamt Münster an das Reichsschatzministerium vom 16. März 1923: "Die EHG zerlegt im Verwaltungsblock des Lagers mit meinem Einverständnis und gegen einer Zahlung einer Vergütung von 100.000 Mark monatlich an die Reichsschatzverwaltung, alte vom Reichsbahnfiskus angekaufte Lokomotiven."
Die EHG schrieb am 16. März 1923 an das Reichsschatzministerium einen Brief mit folgenden Inhalt: "[...] haben wir uns entschlossen, zunächst einen Verarbeitungsbetrieb im Sprengstofflager Hembergen zu errichten. Dieses ist bereits geschehen und verschrotten z. Z. eine größere Anzahl von Staatsbahnlokomotiven. Wir haben einen Teil der Arbeiter, die in Düsseldorf beschäftigungslos waren, nach Hembergen gebracht, um dort für uns die Arbeit aufzunehmen (Anmerkung: Die EGH beschäftigte 20 Arbeiter und einen Angestellten, die im ehemaligen Wohlfahrtsgebäude wohnten).
Die Einrichtungen und Werkzeuge, welche wir bisher nur provisorisch nach Hembergen gebracht haben, reichen nicht aus, um einen rationellen Betrieb aufrecht zu erhalten. Wir müssen daher, sofern wir die Arbeiter weiter beschäftigen wollen, neue Maschinen und Einrichtungen in Hembergen aufstellen, sowie Umbauten an den Gleisen vornehmen. Da die Gleisanlagen von der DAG so gut wie kaum benutzt worden sind, seit Beendigung des Krieges wohl keine Instandsetzungsarbeiten an denselben vorgenommen worden sind, so sind die hölzernen Schwellen, auf denen das Gleis verlegt ist, zum größten Teil verfault, so dass der Eisenbahnfiskus an uns mit dem Ersuchen herangetreten ist, Gleisumbauten vorzunehmen, widrigenfalls die Zustellung von Waggons für das gesamte Lager Hembergen gesperrt wird. |
Verfaulte Schwellen am Bahnhof
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An Unterhaltungskosten für das Anschlussgleis hat der Eisenbahnfiskus zunächst 13.000.000,-- Mark veranschlagt.
[...] Wir teilten Ihnen bereits mit, dass wir das ganze Sprengstofflager in Hembergen von Ihnen käuflich erwerben wollen und Sie ersuchten uns hierauf ein Kaufangebot für das ganze Lager zu machen.
[...] beantragen wir hierdurch uns das Vorkaufsrecht für das Sprengstofflager Hembergen einzuräumen. Es dürfte erklärlich sein, dass wir nur dann die gewaltigen Kosten für die Unterhaltung des Betriebes aufbringen können, wenn wir ganze Anlage erwerben können - ppa. Wilde und Wolf."
"Laut Verhandlungen vom 9. Februar 1923 haben wir von Ihnen Teile des Hembergener Lagers übernommen, mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass dort selbst Lokomotiven verschrottet werden. Vorgesehen ist in dieser Verhandlung insbesondere eine Gleisanlage am Übergabebahnhof mit Anschluss an die Reichsbahn.
Diese Gleisanlagen sind baulich in derartig schlechtem Zustand , dass die vorgesehene Verschrottung von Loks nicht ohne Betriebsgefahr durchgeführt werden kann. Sie haben sich bisher geweigert, diese nötigen Instandsetzungsarbeiten am Gleis selbst vorzunehmen", schrieb die EHG an das LFA am 3. April 1923.
"Wir haben in Hembergen einen Verschrottungsbetrieb eröffnet und melden diesen Betrieb bei Ihnen an. Es handelt sich um eine konzessionspflichtige Anlage", das war am 20. Mai 1923.
Am 7. Mai 1923 wurde der EHG vom LFA mitgeteilt, "[...] dass Verschrottungsarbeiten im Hembergen bis Ende Juli 1923 fortgesetzt werden dürfen."
Der Reichsminister der Finanzen hatte am 14. Juli 1923 " [...] keine Bedenken, dass der Zustand um weitere drei Monate verlängert wird." (Anmerkung: Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhandlungen zwischen dem RFM und der EGH über einen Verkauf/Kauf des Depots weit fortgeschritten.)
Das Reichsverkehrsministerium Berlin, Vossstraße, antwortete der EHG am 18. Oktober 1923 auf eine Anfrage im gleichen Monat: "Betr. Beutewagen: In den letzten Jahren mussten durch die besondere Regelung der Restitutionsverpflichtungen und durch die Forderung wirtschaftlichster Arbeit die mit der Ausbesserung und Verwertung der Beutefahrzeuge seitens der Reichsbahn beschäftigten Werkstätten ganz erheblich eingeschränkt werden. Die Arbeit wurde in den Werken zusammengefasst, die durch günstige Lager zum Arbeitsanfall und durch zweckdienliche Werkeinrichtungen eine wirtschaftliche Arbeitsausführung gewährleisten. Nach diesem planmäßigen Abbau der Ausbesserung und Verwertung von Beutewagen nicht allein in der Privatindustrie, sondern auch in den bahneigenen Werkstätten würde die Heranziehung neuer Werke, ganz abgesehen von berechtigten Berufungen, unbedingt zu neuen Einschränkungen in den noch beteiligten Werken führen. Ich bin daher leider nicht in der Lage, Ihrem Antrage auf Abstellung von 5.000 Beutewagen und Überweisung von Aufträgen auf Zerlegung dieser Wagen in Ihrem bisher von der Reichsbahn nicht beschäftigten Hemberger Werk stattzugeben."
Bereits beim Abzug des Militärs und auch in der Zeit, als die Firmen Hoppecke und Dynamit-Nobel im Depot Hembergen tätig waren, waren 32 wohl schadhafte Kesselwagen (18 reichseigene und 14 Beute-Kesselwagen) auf den Gleisen abgestellt. Hier besteht die Vermutung, das die EHG die Wagen verschrottet hat.
Die EHG schrieb (wahrscheinlich 1924) an die IMKK: "Im Abstellbahnhof wurden bisher die Zerlegearbeiten für Lokomotiven sowie Eisenbahnwaggons von uns durchgeführt. Die Einrichtungen zur Schneidgaserzeugung sind vorhanden. Der Betrieb mußte vorübergehend stillgelegt werden, infolge Absatzstockung bei den Westfälischen Eisenwerken. Wir nehmen jetzt wieder neu die Zerlegarbeiten auf. Etwa 1.000 Tonnen Material haben wir bereits auf Lager, die nunmehr bearbeitet werden sollen. Auftragsgemäß werden wir den Abstellbahnhof für unsere privatwirtschaftlichen Zwecke umbauen und die Ihrerseits gewünschten Gleise herausnehmen."
Deshalb schrieb sie am 2. Mai 1924 an das Reichsfinanzministerium: "[...] daß wir z.Z. mit dem Eisenbahn-Zentralamt, Berlin, Dez. 61, über einen Zerlegebetrieb für Eisenbahnfahrzeuge im Verfolg des mit Ihnen getroffenen Abkommens verhandeln. Wir bitten, die o.a. Dienststelle zu ersuchen, mit uns diesen Vertrag abzuschließen, zumal infolge Fehlens von anderweitiger Arbeit unser Hemberger Betrieb zum vollständigen Stillstand kommen muß, wenn das Eisenbahn-Zentralamt den Vertrag mit uns nicht abschließt. [...]"
Für die schnelle Zerlegung von Konstruktionen aus Stahl hat sich seit je her das Brennschneideverfahren mittels Schneidbrennern bewährt. Die Grundlagen für dieses Arbeitsverfahren lieferte der Franzose Desbassayns de Richmont in den Jahren 1838/40.
Das Brennschneiden beruht darauf, daß glühender Stahl in reinem Sauerstoff "verbrennt". Zum Brennschneiden wird grundsätzlich die gleiche Anlage benötigt, wie zum Gas-Schmelzschweißen, nur der Brenner weist einen anderen Aufbau und eine andere Wirkungsweise auf. Im Gegensatz zum Schweißbrenner hat der Schneidbrenner zwei Düsen, eine Heiz- und eine Schneiddüse. Die nötige große Hitze wird mittels einem Brenngas (Azetylen, Wasserstoff oder Propangas) und reinem Sauerstoff erzeugt. Die größte Temperatur der Azetylen-Sauerstoff Flamme beträgt ca. 3200º C. Der Schneidbrenner wird mittels zwei Schläuchen mit dem Brenngas und dem Sauerstoff versorgt. Im Handstück werden die Gase durch manuelle Einstellventile gemischt und an der Brennerdüse vom Bediener gezündet. Nach der Zündung erfolgt die Feineinstellung durch den Bediener und danach kann die Schneidarbeit beginnen.
Ein Schneidbrenner hat kein großes Gewicht und erfordert nur etwas Geschick, Übung und die Ein-haltung von Sicherheitsregeln beim Einsatz. Der notwendige reine Sauerstoff wurde und wird im Druckflaschen (bis 200-240 bar) transportiert und bereitgestellt.
Das Azetylengas wurde vor vielen Jahrzehnten von den Betrieben meist in Azetylen-Entwicklern selbst erzeugt. Azetylen (C2 H2) wird aus Kalzium-Karbid (Kurzform: Karbid) hergestellt. Es ist eine graue, steinartige Masse, die man in Elektro-Öfen aus Kalk und Kohle erzeugte. Bei der Berührung mit Wasser gibt Karbid Azetylen, also das gewünschte Gas ab. Als Rückstand bleibt gelöschter Kalk übrig. Zugleich wird Wärme erzeugt.
Auch die EHG hatte Azetylen-Entwickler im Einsatz, die in einigen Darstellungen als "modernste autogene Schneideanlagen" benannt wurden.
Als Standort diese Anlage kam das Betriebsgebäude (Lokschuppen) im Verwaltungsbezirk in Frage, da die Gerätschaften witterungsgeschützt aufgestellt sein mußten. Um die Schlauleitungen nicht zu lang werden zulassen (Druckverluste), wird die Zerlegung der Eisenbahnfahrzeuge vor dem Betriebsgebäude stattgefunden haben. Auch erleichterten bestimmt die nahegelegenen Werkstatträumlichkeit und Werkzeugvorräte die Arbeit. Denkbar ist auch, das ein einfacher Bockkran bei der Zerlegung eingesetzt wurde, wenn es darum ging größere und schwere Fahrzeugteile zu entfernen.
Eisenbahnfahrzeuge und besonders die Dampflokomotiven bestehen aus einer Vielzahl von unterschiedlichsten Werkstoffen
Aus Stahl bestehen der Lokrahmen, Dampfkessel, Achsen und viele andere Konstruktionsteile
Zylinderblöcken und Achsführungen bestehend aus Grauguß
Kupfer wurde für Feuerbüchsen, Rohrleitungen und Dichtungen verwendet
Rotguß und Messing fand in Achs- und Stangenlagern, Armaturen, Ventilen und Lokschildern Verwendung
Weißmetall-Zinnlegierungen befanden sich als Gleitflächen in Achs- und Stangenlagern
Holz wurde für Führerhaus-Innenverkleidungen und Fußböden verwendet
Asbest für Rohrisolierungen und als Dichtwerkstoff in Rohr-, Kolbenstangen- und Ventildichtungen.
Bei der Zerlegung und Wiederverwertung von Lokomotiven wurden die verschiedensten Werkstoffe getrennt, da am Markt hierfür unterschiedliche Preise erzielt wurden.
Nachdem die Lokomotive auf dem Bearbeitungsstand geschoben wurde, begann man damit, Ventile, Pumpen und Armaturen zu demontieren. Vielleicht wurden diese Bauteile auch als altbrauchbare Ersatzteile an Privatbahnen und Industriebetriebe verkauft.
Danach wurde die Kesselverkleidung (Blech) und das Führerhaus entfernt und die eigentlichen Zer-legearbeiten am Dampfkessel begannen, dessen Teil in handliche Stücke zerteilt wurden. Nach dem Dampfkessel kam das Lokfahrwerk an die Reihe. Zuletzt verblieben noch die Achsen, die als letztes Teil einer ehemals stolzen Lokomotiven von dem Gleis verschwanden.
Verladen wurden die so gewonnenen Schrotte in offenen Güterwagen (O-Wagen), die dann zu den Stahlwerken oder anderen Rohstofferzeugern befördert wurden, die den Schrott angekauft hatten. Bei anderen Eisenbahnfahrzeugen wie Loktendern, Güterwagen oder Kesselwagen liefen die Zerlegearbeiten vergleichbar ab. Bei den Güterwagen gab es jedoch größere Mengen an Holzbrettern aus den Böden und Seitenwänden zu entsorgen. Bei den Kesselwagen stellten Ladungsrückstände in den Fahrzeuge für das Zerlegepersonal eine erheblich Gesundheits- und Unfallgefahr dar.
Von 1923 bis 1925 wurden hier Hunderte von Lokomotiven und Güterwagen der Reichsbahndirektion Münster zerlegt und verschrottet. Lange Reihen mit Loks der preußischen Gattungen S 1, S 3, P 4, G 3 und G 5 standen auf den Gleisen des Depot-Abstellbahnhofs zwischen der heutigen Bahnhofstraße und dem Grünen Grund und erwarteten ihr Schicksal. Für die Rangierarbeiten setzte die EHG bis etwa 1926 eine eigene Dampflok ein, die auch für die firmeneigene Teer- u. Oeldestillation GmbH, die sich ab 1924 in einer Dachpappenproduktion versuchte, die Kesselwagen mit Teer/Bitumen vorheizte.
Ab 1925 setzte allmählich ein Wirtschaftsaufschwung ein, der ein Ansteigen der Transportzahlen bei der Deutschen Reichsbahn bewirkte. Nun wurde jede Lokomotive wieder für den Betrieb gebraucht und selbst die älteren noch verbliebenen Naßdampflokomotiven wurden wieder in den Erhaltungsbestand aufgenommen und blieben bis zur Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre im Einsatz.
1925 ging der Eisenhandelgesellschaft quasi die Arbeit aus, da es keine Eisenbahnfahrzeuge im größeren Umfang zu verschrotten gab. Dieser Unternehmenszweig mußte somit aufgegeben werden.
Die IMKK drängte die EHG ständig darauf, die Gleisanlagen im Depot zu entfernen. Da Geschäfte durch die EHG nicht zustande kamen, die Depot-Schuppen als Lagerräume zu verwenden, wurden die Gleisanlagen in den Depots A bis D Stück für Stück zurückgebaut und die Schienenmaterialien als Schrott veräußert. Nach dem Ende der Zerlegearbeiten an den alten und ausgemusterten Eisenbahnfahrzeugen der Deutschen Reichsbahn, waren die Gleise des Abstellbahnhofs, die Zufahrt zum Betriebsgebäude und der Anschluß zur Reichsbahn letztlich entbehrlich, und wurden auch demontiert und verwertet. Hier hatte die EHG nochmals gute Erlöse erzielt.
Zum Verkauf von Gleisen im Depot schrieb auf Anfrage die Firma Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung Historisches Archiv Krupp:
"[...] Grundsätzlich können wir Ihnen jedoch mitteilen, dass hier sicherlich verschiedene Erklärungen möglich sind. Unklar ist, in welchem Zustand die Schienen eingebaut worden sind. Eine weitere Verwendung kann möglicherweise uninteressant gewesen sein. Was den Schrotterlös anbelangt, so war dieser sicherlich nicht unerheblich, möglicherweise handelt es sich hier um ein Kompensations-/Tauschgeschäft in der damaligen Zeit der Inflation. Ohnehin hatten Bahngesellschaften 1922/23 wenig Mittel für Erneuerungsarbeiten zur Verfügung. Deshalb hat es möglicherweise keine Käufer gegeben." (Anmerkung: für die Gleise im Nahkampfmitteldepot Hembergen wurden schon beim Bau 1917/18 altbrauchbare Oberbaustoffe verwendet. Nach dem Kriege bestand bei der Reichsbahn kein Interesse, abgefahrene Gleise anzukaufen und wo möglich anderswo wieder einzubauen).
Lokomotiven-Gattungen, die im Depot Hembergen zerlegt wurden.
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