Über Jahrzehnte hatte sich die Kirmes im Sommer jeden Jahres in Reckenfeld als Mittelpunkt des Dorfgeschehens etabliert. Und dann kam doch das Ende im Jahr 2011.
Nach neuesten Recherchen hatten bereits die Nazis in Reckenfeld angestrebt, eine Kirmes im Ort zu etablieren. Das muss wohl einmal gelungen sein, ansonsten wird auf die Kirmes in den Nachbarstädten hingewiesen. Der "Münsterische Anzeiger", Vorläufer der "Westfälischen Nachrichten", war mit einer 'Bezirksbeilage' ausgestattet. Diese war mit "Münsterländische Nachrichten" betitelt. Aber lesen Sie selbst:
25.05.1937 - Reckenfeld:
Vom Schützenverein "Eintracht": In der letzten Versammlung wurde beschlossen, das diesjährige Schützenfest wie üblich am 1. Sonntag im August zu feiern. Der vorgeschriebene Kugelfang an der Vogelstange wird gemeinsam mit dem Bruderverein Herbern im Laufe der Woche angebracht werden. Am Donnerstag, dem 27. Mai (Fronleichnam) findet in Reckenfeld eine große Volksbelustigung in Form einer Kirmes statt.
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28.08.1938 - Reckenfeld: Schon mit Rücksicht auf die im benachbarten Greven am Sonntag und Montag stattfindende Kirmes müßte rechtes Kirmeswetter herrschen. Noch müssen wir auf derartige eigene Veranstaltungen verzichten, daher besuchen die Reckenfelder gerne die Grevener und insbesondere die eine Woche später in Emsdetten stattfindende traditionelle Herbstkirmes.
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29.08.1938 - Reckenfeld: Ein Anziehungspunkt für Jung und Alt bildete die im benachbarten Greven stattfindende Herbstkirmes. Schon in den frühen Nachmittagsstunden setzten sich die ersten Kirmesbesucher in Bewegung. Zu Fuß, per Rad und mit der Eisenbahn strömte alles nach Greven, um sich in den Kirmestrubel zu stürzen. Mit Rücksicht auf die Grevener Kirmes fielen sämtliche Veranstaltungen, mit Ausnahme des Fußballspieles, aus, so daß es im Allgemeinen recht ruhig in der Gartenstadt war.
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04.09.1938 - Reckenfeld: Allerlei Neues aus Reckenfeld:
Der letzte Sonntag und Montag stand im Zeichen der Grevener Kirmes. Bei schönstem Wetter war ein Rekordbesuch zu verzeichnen. Am heutigen Sonntag und Montag ist im benachbarten Emsdetten ebenfalls Kirmes. So werden wieder viele Reckenfelder dort als Abschluß noch einmal Kirmes feiern.
Emsdetten feiert in diesem Jahr zum letzten Male Kirmes als Dorf. Bekanntlich wird Emsdetten Mitte dieses Monats zur Stadt erhoben. Als unmittelbare Nachbarn freuen wir uns mit den dortigen Bewohnern, macht doch Emsdetten mit seinen schönen, sauberen Straßen auf den ersten Blick schon einen städtischen Eindruck. Die Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit der Emsdettener sind weitere Gründe, warum die Reckenfelder gerne dort weilen.
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07.09.1938 - Reckenfeld: Worüber man in Reckenfeld spricht:
Über die Kirmestage am vergangenen Sonntag und Montag in Emsdetten. Alles hat ein Ende, nach der Grevener ist nun auch diese Kirmes vorbei. Das lustige Treiben, der schrille Lärm haben einer wohltuenden Ruhe Platz gemacht. Inzwischen sind die letzten Spuren dieses Volksfestes beseitigt. Jetzt setzten die Vorbereitungen in erhöhtem Maße für das große Erlebnis, die Stadtwerbung, ein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es der am 15. September 1947 gegründete Heimatverein, der neben den politischen Gremien maßgeblichen Anteil daran hatte, durch Einflussnahme auf die Politik das Leben in Reckenfeld zu normalisieren.
Der Reckenfelder Heimatverein: In Übereinstimmung mit der Gemeindevertretung links der Ems wurde im August 1949 die Kirmes auf den zweiten Sonntag im Juli festlegt.
Zeitzeuge:
"Zur Kirmes in Reckenfeld 1948/1949: Das Karussell gehörte der Familie Rosbicki im Block B. Das Karussell hatte einen Motor, drehte sich also und stand auf der Kreuzung Wittlerdamm, Kanalstraße, Grevener Landstraße, dort wo heute auch noch die Kreuzung (Ampel) ist. Das Foto muss von 1948/49 sein. Die Familie Rosbicki zog mit diesem Gestell durch die Lande."
Wegen der spinalen Kinderlähmung im Landkreis Münster incl. Grevens und Reckenfelds wird durch das Kreisgesundheitsamt die Reckenfelder Kirmes, die am 13.7.1952 stattfinden soll, abgesagt.
Eine Zeitung am 11.7.1956: Attraktionen auf der Kirmes: "Raketenfahrt zum Mond", Glücksspiel "Herz-As oder Joker", Schießbuden, "Drei Schlag auf den Nagel", Glückshalle mit großer und kleiner Auswahl. Hungrige und durstige wurden bewirtet und Bedarfsartikel sowie manches für die Kinder angeboten Es war sehr viel los! Großer Andrang.
Zeitzeuge:
Höhepunkt' im Reckenfelder Polizeigeschehen war der Tag, als der ‚Wilde Westen' nach Reckenfeld kam; ‚Schüsse auf den Polizeiposten in Reckenfeld', hieß die Schlagzeile in der Lokalpresse. Zu später Stunde auf der Reckenfelder Kirmes fuhren betrunkene Jugendliche auf einer Mofa an dem Polizeiposten vorbei und schossen aus der Bierlaune heraus auf die Haustür. Es passierte nicht viel - nur ein paar zerbrochene Scheiben und ein Schreck in der Abendstunde."
Zeitzeuge:
"Es war im Jahr 1955 oder 1956, so genau weiß ich das nicht mehr, da wurde zum ersten Mal am zweiten Sonntag im Juli Dorfkirmes gefeiert. Im Vorfeld waren die Vorfreude und Erwartung groß, denn das Angebot an Freizeitvergnügen hielt sich damals in Grenzen. Ich weiß zwar nicht mehr was wir erwartet haben, doch was dann kam, war doch sehr dürftig.
"Es waren da: eine Schießbude, ein Eisstand, und ein paar Stände mit Haushaltsartikeln. Ob ein Wurststand da war weiß ich nicht mehr, das war damals noch nicht selbstverständlich wie heute.
Das absolute Highlight war jedoch eine so genannte "Raupe", ein Fahrgeschäft mit einer Wagenreihe, jeweils mit zweier Sitzen die in Wellenform in der Runde lief. Das Besondere waren dann die letzten zwei Runden, denn dann legte sich eine Stoffabdeckung über die Wagen und verdunkelte diese und man konnte von außen nicht mehr sehen, was darunter passierte. Ich glaube meistens passierte gar nichts.
Was das Fahrgeschäft aber für uns Jugendliche so attraktiv machte, war die abgespielte Musik. Es waren die neuesten Schlager. Heute möchte ich sagen, dass es für uns eine Art Disco darstellte, nur ohne Tanz. Dazu kam, dass man sich Musikstücke für Freunde oder auch Nicht-Freunde wünschen konnte, die dann mit dem vollen Namen des Beglückten verkündet und abgespielt wurden. Dann konnte man schon mal hören: "Und jetzt für unseren lieben Freund "XY" den wunderschönen Mambo -Das ist die Liebe im Vorübergehen-" Es hat uns drei Tage viel Spaß gemacht.
Dieses Karussell stand im hinteren Teil des Kirchplatzes unmittelbar vor dem Pastorat und muss den Tugendwächtern und Moralaposteln ein großer Dorn im Auge gewesen sein. So etwas Liederliches wie dieses Karussell konnte man doch nicht hinnehmen, da konnte doch unter der Abdeckung wer weiß was Unmoralisches vor sich gehen. Was darunter passierte, war wahrscheinlich nur in der blühenden Fantasie der Sittenwächter vorhanden, denn wenn man genau überlegt blieben ca. 20 Sekunden, bevor die Plane wieder hochging. Wenn man in der Zeit einen flüchtigen Kuss zustande gebracht hätte, wäre man sehr mutig gewesen. Und das waren wir wahrlich nicht.
Aber so waren die Zeiten und deshalb hat es, solange ich im Dorf war, nie wieder eine "Raupe" gegeben.
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Ab dem Jahr 1948/1949 - und das dann über mehrere Jahrzehnte verteilt, war die Kirmes in der Ortsmitte Reckenfelds eine Anlaufstelle für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Eben ein Volksfest mit Fahrgeschäften und Buden.
Besonders die Jugendlichen hatten ihren Spaß daran. Aber die Aussteller wollten auch, dass die Jüngsten ihre Freude an den Attraktionen hatten. Insgesamt gesehen, gelang das auch.
Im Laufe der Jahre im neuen Jahrtausend verloren viele - auch die Jugendlichen - das Interesse hieran. Der Grund dafür könnten neuzeitliche Freizeitangebote gewesen sein. Dementsprechend gingen auch die Einnahmen der Schausteller zurück und es lohnte sich nicht mehr für sie.
Es war über mehrere Jahre wenig los auf dem Kirmesplatz, was dazu führte, dass Überlegungen angestellt wurden, die jährliche Kirmes aufzugeben.
Im September 2010 auf der Tagung der Kultur- und Sporttreibenden Vereine tauchte plötzlich die Frage auf: "Brauchen wir eigentlich noch eine Kirmes?" Diese Frage stellte Franz-Josef Holthaus (Organisator verschiedener Events im Ort), der das Kirmesgeschehen über einen längeren Zeitraum beobachtet hatte.
Der Bezirksausschuss Reckenfeld sowie der Rat haben dann das Aus beschlossen. Auch die Kultur und Sporttreibenden Vereine für Reckenfeld mochten den Rummel nicht länger unterstützen. Und so kam es auch: "Die Kirmes in Reckenfeld im Jahr 2011 fällt aus"!
Gegenreaktionen gab es danach verschiedentlich: noch im selben Jahr, im Jahr 2012 und auch noch 2014 wurde von politisch aktiven Reckenfeldern ein Wiederanlauf diskutiert. Doch es blieb dabei: In Reckenfeld gibt es keine Kirmes mehr!
Fotos aus mehreren Jahrzehnten
Die erste Kirmes in Reckenfeld (1948/1949)
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... mit dem Standort an der Kreuzung Kanalstraße - Wittlerdamm - Grevener Landstraße
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Die Mutigen unter den "Halbstarken" machten einen Überschlag mit der Schaukel.
Das dauerte aber nicht lange, denn es wurde durch Querstangen verhindert, wie hier zu sehen.
Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1956
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Kinderkarussels wurden gut angenommen |
... wie auch hier gut zu erkennen ist |
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Familien Nieber und Stöbis... |
... im Jahre 1959 |
1958: Auf dem östlichen Teil des Dorfplatzes spielt sich die Kirmes ab
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Die beiden Zeitungen berichteten über die Kirmes (1959)
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Die Raupe war ein beliebtestes Ziel der Jugendlichen
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Schießbude und viel Klimbim
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Ganz schön Betrieb auf dem Rummelplatz
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Autoscooter waren schon was ganz Besonderes
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In den 1960er Jahren |
Ein Blick zurück in das Jahr 1969
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1969
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1969
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1969
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1970er Jahre |
1988
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1985: Mit Schwung in die Lüfte
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1985: Die Raupe - aber ohne Verdeck...
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1991
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1991 - Das Selbstfahren macht doch Spaß, oder?
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Gut besuchte Kirmesveranstaltung
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Die Schiffschaukel, eine gern angenommene Attraktion
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