Der Dorfpolizist

Diese Geschichte schrieb im Jahr 2006 Eva Marie Kurbjuhn über ihren Mann Aribert Kurbjuhn der 15 Jahre in Reckenfeld als Polizist tätig war:

Früher, als die Zeiten noch einfach und die Probleme lösbar schienen, da gab es ihn noch - den Dorfpolizisten und den Polizeihauptmeister Aribert Kurbjuhn. In der Hermann-Löns-Straße 17 war der Polizeiposten.

Von hier aus sorgte er viele Jahre dafür, daß Streitereien geschlichtet, Verbrecher ihrer verdienten Strafe zugeführt, daß dem Recht und Gesetz Achtung und Respekt verschafft wurde. Auf seinem Motorrad, einer 250er BMW, fuhr er fast jeden Tag durch Reckenfeld auf den Wegen zu neuen Einsätzen.

Nach dem 2. Weltkrieg, dessen Ende er irgendwo in Italien als Soldat erlebt hatte, hatte es ihn - gerade einmal 21 Jahre alt - ins Münsterland auf einen Bauernhof bei Westbevern verschlagen, denn hier, hatte er einmal gesagt: ‚Hier bekam ich zum ersten Mal satt zu essen und das auch noch vor der Arbeit.' So blieb er im Münsterland, der Rückweg in seine Heimat nach Ostpreußen war und blieb auch noch viele Jahre versperrt. Einige Jahre blieb er auf dem Bauernhof, genug zu Essen zu bekommen, war damals schon ein sehr überzeugendes Argument.

Als dann mit der Gründung der Bundesrepublik Polizisten gesucht wurden, ergriff er die Chance, drückte noch einmal die Schulbank auf der Polizeischule und trat seine erste Stelle in Greven an.

Neben einer neuen beruflichen Perspektive fand er auch sein privates Glück, Er fand seine Frau fürs Leben und wurde stolzer Vater. Da traf es sich gut, daß eine Polizeimeisterstelle in Reckenfeld frei wurde.

Nun sah man ihn fast täglich auf seinem Motorrad durch Reckenfeld fahren, immer vorschriftsmäßig. Es gab viel zu tun in Reckenfeld: Streitereien zwischen Nachbarn, Verkehrsunfälle, Raufereien, Diebstähle, Ausfälle nach Trinkgelagen - all die Dinge, die leider immer auch vorkommen, wenn Menschen zusammen leben. Dann kam er: Groß, stark und kräftig wie John Wayne in seinen besten Tagen, noch besonders betont durch die Uniform, verkörperte er schon durch sein Aussehen die Autorität, die notwendig war, um im Chaos Ordnung zu schaffen. Er zückte seinen Notizblock, stellte einige Fragen und machte schnell klar, was zu passieren hat, wenn nicht größerer Ärger aufkommen sollte.

Äußerst ungemütlich wurde er, wenn fleißigen, ordentlichen, rechtschaffenden Menschen Unrecht geschehen war oder geschehen sollte. So bewahrte er einen Knecht, der nach jahrelangen Demütigungen sich endlich zur Wehr setzte und alle Ställe unter Wasser setzte, vor einer Anklage und einem Gerichtsverfahren, indem er die Vorgeschichte genau recherchierte und den Staatsanwalt davon überzeugte, das Verfahren einzustellen.

Oder G., ein italienischer Gastarbeiter. Er kam eines Tages äußerst erregt auf die Polizeistation und erklärte in gebrochenem Deutsch seine Geschichte. Mit viel Geduld fand Kurbjuhn schließlich heraus: ‚G. hatte nach seiner Arbeit auf dem Bau ‚privat' für einen Reckenfelder Geschäftsmann eine Garage gebaut und sollte nun um seinen Lohn geprellt werden. Danach waren beide empört. Der Polizeihauptmeister setzte sich auf sein Motorrad, besuchte den ‚Bauherrn' und klärte die Angelegenheit. Alles war nur ein Mißverständnis, G. bekam seinen Lohn.

Die Zeiten wurden besser, man konnte nicht nur gut essen, sondern sogar reichhaltig und viel. Heute spricht man wenig respektvoll von der ‚Fresswelle'. So wurde auch der Dorfpolizist immer kräftiger. Ihn, der immer auch begeisterter Sportler war, störte diese Unbeweglichkeit und der Fitneßwelle weit voraus, begann er mit dem Fahrrad statt mit dem Motorrad seinen Dienst zu tun.

Verwundert rieben sich die Reckenfelder die Augen. Was war das? Ein Polizist auf einem Fahrrad! Viele glaubten, er hätte seinen Führerschein abgeben müssen, dabei wollte er nur überflüssige Pfunde abtrainieren.

‚Höhepunkt' im Reckenfelder Polizeigeschehen war der Tag, als der ‚Wilde Westen' nach Reckenfeld kam; 'Schüsse auf den Polizeiposten in Reckenfeld', hieß die Schlagzeile in der Lokalpresse. Zu später Stunde auf der Reckenfelder Kirmes fuhren betrunkene Jugendliche auf einer Mofa an dem Polizeiposten vorbei und schossen aus der Bierlaune heraus auf die Haustür. Es passierte nicht viel - nur ein paar zerbrochene Scheiben und ein Schreck in der Abendstunde, den jedoch die drei Kinder der Kurbjuhns friedlich schlafend verpaßten.

Damals schien die Welt noch einfach, Menschen stritten miteinander, vertrugen sich wieder und manchmal brauchte man die Hilfe des Dorfpolizisten. Viele Jahre verrichtete Aribert Kurbjuhn seinen Dienst in Reckenfeld mal auf dem Fahrrad, mal auf dem Motorrad, von den einen gern gesehen, von anderen weniger gern. Reckenfeld wurde größer und die Aufgaben der Polizei nahmen zu, was eine Neuorganisation der Polizei notwendig macht. Die Polizeistation in Reckenfeld wurde umstrukturiert und Aribert Kurbjuhn nach Lengerich versetzt. Hier arbeitete er noch einige Jahre bis zu seiner Pension, blieb aber mit seiner Familie in Reckenfeld wohnen und für die Reckenfelder blieb er Zeit Lebens - der Dorfpolizist."


Zurück
(c) 2007 by www.geschichte-reckenfeld.de    [Impressum]    [Kontakt]