Gefangenenlager und Munitionsdepots während des I. Weltkrieges in Neuenkirchen-Land. Die Militärverwaltung richtete im Jahre 1915 in Neuenkirchen-Land ein Kriegsgefangenenlager für ca. 1.000 Gefangene ein. Ursache, warum gerade Neuenkirchen-Land ausersehen war, war folgender Sachverhalt: Starke französische Truppen hatten 1914 in der deutschen Kolonie Togo die Schutztruppe zur Aufgabe gezwungen und als Gefangene nach Dahomey gebracht. Dort mussten die Gefangenen dem Völkerrecht zuwider, in der glühenden Sonne Schwerstarbeit verrichten.
Die Verhandlungen zur besseren Behandlung der Gefangenen über eine neutrale Macht führten nicht zum Erfolg. Da entschloss sich die deutsche Regierung als Gegenmaßnahme einige Repressalienlager einzurichten. Französische Offiziere und Angehörige der französischen höheren Stände kamen in diese Sonderlager und mussten dort schwerere Arbeit verrichten (Moore trocken legen oder Entwässerungsgräben ziehen usw.). Sie durften auch keine Paketpost aus ihrer Heimat empfangen. Es war aber ausdrücklich erlaubt, dass sie ihre missliche Lage in Briefen nach Hause schilderten und ihren Angehörigen mitteilten, wenn es den deutschen Gefangenen in Dahomey besser erginge, würden auch sie wieder in ihre alten Lager zurückkehren. Diese Maßnahme hatte Erfolg und das Lager war bald geräumt. Noch bevor die letzten französischen Gefangenen verlegt waren, kamen die ersten russischen Gefangenen, die bis Mitte 1916 blieben und dann auf kleinere Lager in der Umgebung aufgeteilt wurden.
Das Gefangenenlager befand sich an der Emsdettener Straße hinter dem Bahnübergang in Höhe des Missionshauses St. Arnold, ungefähr 700 m vom Wasserwerk entfernt.
Auf der linken Seite stand das Gefangenenlager mit besonderer Umzäunung. Weiter rückwärts befanden sich die Unterkunftsräume für ein Bataillon Infanterie. Rechts von der Emsdettener Straße standen die Verwaltungsbaracken und die Unterkünfte der Offiziere. Das Gesamtgelände hatte eine Größe von 31 ha. Nach einem Umbau des leerstehenden Lagers erfolgte eine Umnutzung zu einem Munitionslager.
Vom Ladegleis der Reichsbahn führte ein weitverzweigtes Förderbahnnetz in alle Teile des Lagers. Der eigene Betriebsmittelpark hatte 113 Plattformwagen, die von Pferden gezogen wurden. Die auf dem Gelände vorhandenen Erdhütten konnte man gut als Munitionslager verwenden. Im Anschluss an das Munitionslager sind am Weg noch eine Reihe Werkstattgebäude zum Reinigen und Laden von Geschossen gebaut worden. An der Bahn entlang errichtete man einige Schuppen, die für die Korbfärberei benötigt wurden. Weiter binnenwärts befanden sich die Pulvermagazine. Die Beleuchtung erfolgte durch eine eigene elektrische Zentrale. Die Dynamos sind durch Dampflokomobile angetrieben worden. Später, als das Munitionslager II in Betrieb war, bezog man von dort den Strom.
Im Jahre 1917 ist in Neuenkirchen-Land das zweite Munitionslager in Betrieb genommen worden. Dieses Lager befand sich von Neuenkirchen aus gesehen in der Nähe der Emsdettener Straße, rechts vom Haarweg bis ungefähr zum Burgsteinfurter Damm. Ein Teil des Haarweges musste verlegt werden. Das Lager hatte eine Größe von 85ha. Der Haupteingang des Lagers befand sich ungefähr 1km von der Bahnstation entfernt in der Nähe des Haarwegs. Dort befand sich auch das Verwaltungsgebäude. Das Lager hatte Vollbahnanschluss mit dreigleisigem Übergabebahnhof und 2 Zufahrtsgleisen. Der Anschluss war für 46 Wagen berechnet. Die Wagenverschiebungen im Lager erfolgten durch Benzollokomotiven. Außerdem war eine Feldbahn mit 44 Kastenwagen vorhanden.
Zwischen den Lagerhäusern war ein Abstand von jeweils 50m. Die Baracken hatten eine Größe von 12x22m und die Munitions-Arbeitshäuser 36,75x11,50m oder 34x12m. Die Gesamtbaukosten betrugen 2.650.000,- Mark. In mehr als 50 Baracken und Nebengebäuden waren zeitweise bis zu 600 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt. Die meisten Frauen waren dienstverpflichtet worden und kamen hauptsächlich aus Neuenkirchen und Burgsteinfurt. Das ganze Gelände war eingezäunt und wurde ständig bewacht.
Nach Beendigung des Krieges stellen die Firmen Dynamit AG, vormals Alfred Nobel & Co, Hamburg, und die Sprengstofffabriken Hoppecke AG, Köln, einen Antrag auf Eröffnung einer Munitions-Zerlegungsstelle in dem vorhandenen Artillerie-Depot, Lager II, in Neuenkirchen-Land. Sie erhielten eine widerrufliche Genehmigung und durften in 40 Gebäuden je 10.000 kg Sprengstoff einlagern. Die Gesamtgenehmigung belief sich auf 2,1 Millionen Kilogramm.
Am 5.6.1920 kam es im Munitionslager II zu einer Explosion. Im Bericht an den Landrat heißt es u.a.: "Beim Transport von Munition ist durch Selbstentzündung eine Kiste mit Zündern explodiert. 6 Personen sind schwer und 10 leicht verletzt. Von den Verletzten sind inzwischen 2 gestorben. Ein Verschulden von dritter Seite liegt nicht vor." Für das Lager Neuenkirchen-Land I erhielt die Firma Nelissen, Bielefeld, eine Genehmigung für eine Munitionszerlegungsstelle. Auch hier ereignete sich ein Unglück. Am 19.8.1921 explodierten plötzlich 20 Granaten. Einige Splitter flogen bis zum Wohnhaus Schiermann, das ungefähr 600m vom Explosionsherd entfernt war. Bis auf einige herabgefallene Dachziegel, fiel der Schaden gering aus. Dagegen waren an der Bahnstation, die ca. 200m von der Sprengstelle lag, alle Fensterscheiben zertrümmert.
Wenn auch die Zerlegungsarbeiten zügig erledigt wurden, so ist der letzte Sprengstoffbestand erst im November 1931 geräumt worden. Danach gab es für die Baracken und Gleisanlagen keine Verwendung mehr. Die Anlagen sind zum größten Teil abgebaut worden. Das Josefshaus, Wettringen, mietete noch bis zum Jahre 1935 einige Räume für die Unterbringung von siebzig Männern des Freiwilligen Arbeitsdienstes. (Anmerkung: so weit der Bericht aus dem Buch von Neuenkirchen).
Meine Recherchen in Archiven haben noch folgende Informationen erbracht:
Die Königliche-Eisenbahn-Direktion Münster teilte am 16.3.1917 dem Militär-Eisenbahn-Bauamt, Münster und dem RP mit: "Mit der Herstellung eines Gleisanschlusses für das Munitionslager II in Neuenkirchen-Land [...] erklären wir uns einverstanden. Für eine direkte Ausfahrt der Züge aus der Munitionsanstalt in der Richtung nach Burgsteinfurt wird noch eine Weichenverbindung nötig sein."
Im März 1920 beantragte die DAG beim Reichsvermögensamt das Lager Neuenkirchen-Land 2 kaufen zu wollen. Das Reichsvermögensamt hatte nichts einzuwenden. Am 19.4.1920 schreibt die DAG an das Reichsschatzministerium: "Seit Ende März sind mit dem Landes-Finanzamt die betreffenden Verhandlungen mit Anweisung betr. Erwerb im Gange, die, soweit das Munitionslager Neuenkirchen in Frage kommt, einen befriedigenden Verlauf nimmt."
Zu einen Verkauf des Depots an die DAG kommt es jedoch nicht.
Am 14.5.1920 schreibt das Ministerium für Handel und Gewerbe: "[...] Für die aus den mittel- und namentlich die westdeutschen Anlagen kommenden Munitionssprengstoffe hatte die Dynamit AG ihr Augenmerk auf die Artilleriedepots Neuenkirchen und Hembergen (beide in der Nähe von Münster) gerichtet, und zwar wollte sie das erstere kaufen, das letztere pachten. Beide Depots sind als eine Einheit zu betrachten, die von der Entente leicht überwacht werden können. [...] Es könnte jedoch in allen vier Depots rund 7.000 Tonnen Sprengstoff gelagert werden. Diese 7.000t mit der Lagermenge in Neuenkirchen könnten das Lagerbedürfnis der DAG befriedigen und die gelagerte Sprengstoffmenge vor der Vernichtung retten. [...] Im übrigen drängt sich, wenn man das ehemalige Gefangenenlager dicht am Bahnhof Neuenkirchen-Land sieht, unabweislich der Gedanke auf, weshalb dieses Lager nicht für Siedlungszwecke nutzbar gemacht wird (Els.-Loth.)."
[...] haben vorläufige Genehmigung für Neuenkirchen-Land am 19.5.1920 (Zerlegung) erteilt. [...]
Emsdettener Volkszeitung: Neuenkirchen, 9. Juni 1920. "In dem Explosionsunglück sei nachstehendes noch mitgeteilt: Eine schwere Zünder-Explosion ereignete sich Samstag (5.6.) mittags gegen ½12 Uhr im Munitionslager Neuenkirchen-Land. Beim Herausschaffen einer Kiste mit scharfen Zündern stürzte eine andere Kiste mit Zündern um und explodierte. Unmittelbar darauf explodierte auch die von vier Arbeitern getragene Kiste. Die Wirkung war furchtbar. Die vier Arbeiter Rennert-Rheine, Buschmann-Ochtup, Kösters-Neuenkirchen, Heinrich Ribbrig-Burgsteinfurt und der Feuerwerker Schröder lagen mit mehr oder weniger schweren Verletzungen am Boden. Ärztliche Hilfe wurde sofort herbeigerufen. Rennert starb bald darauf. Er wurde mit den anderen Verletzten außer Köster, der im Neunkirchener Krankenhaus Aufnahme fand, durch Sonderzug nach Rheine transportiert. Die verunglückten Arbeiter sind sämtlich Familienväter. Der schwerverletzte Köster ist gleichfalls am Unglücksort gestorben, so dass das Unglück zwei Todesopfer gefordert hat."
Reichstreuhandgesellschaft AG Ende Oktober 1920/Januar 1921 in jeweils einer Liste derjenigen Orte, an denen Zerlegungsarbeiten von Munition vorgenommen werden oder wo dies beabsichtigt ist u.a.: - Zerlegeort: Neuenkirchen Land - Zerlegende Firma: Sprengstofffabrik Hoppecke, Köln - Aufsichtsbeamter der RTG: Stuhlemmer - Material: Eisenmunition.
Die DAG hatte am 10.12.1920 die Genehmigung vom RP über die Einlagerung von Sprengstoffen in 17 kleinen Schuppen und 35 größeren Schuppen erhalten.
Es fand eine Besichtigung in Neuenkirchen und Hembergen am 2.6.1921 statt. Der Bericht datierte vom 10.6.1921.
Hoppecke an RP (Pirsch) am 10.6.1921: "Wir teilen Ihnen mit, dass die Zerlegebetriebe Hembergen und Neuenkirchen-Land aufgelöst sind. Die Arbeiten sind beendet (Ortmann)."
Betrifft Hembergen und Neuenkirchen: Hoppecke hat die Arbeiten am 10.6.1921 eingestellt.
Das Gewerbeaufsichtsamt Rheine schreibt am 1.8.1921: "[...] Die Gebäude sind zum Teil noch vorhanden, werden als Materiallager benutzt. Auch die RTG wird in Kürze ihre Arbeit beenden, so dass nur noch die DAG in dem sogenannten neuen Lager (II) Sprengstoffe lagern wird.
DAG am 31.8.1921: vorhandene Bestände in Neuenkirchen: 54.280kg Trinitrotoluol (Eigentum der Carbonit-Akt.Ges.).
In Neuenkirchen. Unglücksfall im November 1921. (Genaues Datum ist nicht bekannt.): 6 Granaten beim Ausbrennen explodiert.
Das Ministerium für Handel und Gewerbe am 6.10.1922 an RP: "[...] Wegen der völligen Entleerung des Lagers Hembergen bis zum 31.12.1922 sollen die Lagergebäude in Neuenkirchen-Land die Lagermenge um 15 bis 20 Tonnen im nicht umwallten Lagern erhöht werden. Z.Z. lagern 50 Tonnen pro Lagergebäude. Der Minister stimmt noch nicht zu."
Die DAG am 17.10.1922 an RP (Pirsch): "Aufstellung über Bestände auf dem Lager Neuenkirchen zu geben. Am 15.10.22 in Neuenkirchen eingelagert: 2.050 Tonnen, darunter 345 Tonnen Perdit. 40 Schuppen dürfen mit Sprengstoff belegt werden."
Gewerbeaufsichtsamt am 21.7.1924 an RP: "In Neuenkirchen werden 450 Tonnen Füllpulver 60/40 ein Gemisch von Ammonsalpeter mit Trinitrotuol (Trinitrotnol) versandfertig gelagert."
Programm über Kontrollbesuche der IMKK für die Zeit vom 8. bis 13.9.1924: Dienstag, 9.9.19124, Kontrollbesuch DAG in Neuenkirchen-Land, Syndikat: Capitan HAY, Lieut. REID, und ein French- (franz.) Offizier von Münster oder Düsseldorf. (Anmerkung der Deutschen Verbindungsstelle: Die betr. Syndikate wurden jeweils von einem deutschen Verbindungsoffizier begleitet.)
12.10.1924 Neuenkirchen: 619 Tonnen Trinitronaphtalin gelagert, das aus Heeresbeständen stammt.
Befindliches Pulver und Sprengstoffe vom 18.12.1924: Neuenkirchen 2.100t brisante Sprengmittel.
Befindliches Pulver und Sprengstoffe vom 15.10.1925: Neuenkirchen 1.260t brisante Sprengmittel.
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