KaufvertragWortlaut des Vertrages zwischen dem Reichsminister der Finanzen und der Eisenhandelsgesellschaft-Ost.Vertrag
zwischen dem Deutschen Reichsfiskus (Reichsfinanzverwaltung) vertreten durch den Reichsminister der Finanzen und der Eisenhandelsgesellschaft Ost G.m.b.H., Berlin W9, Leipziger Platz 3, vertreten durch deren Prokuristen Herrn Wilde wird nachstehender Vertrag geschlossen. § 1
Die Eisenhandelsgesellschaft Ost G.m.b.H. kauft das im Eigentum des Reichs befindliche Gelände des ehemaligen Nahkampfmitteldepots Hembergen mit allen Auf- und Einbauten, Gleis- und sonstigen Anlagen - alles wie es steht und liegt - sowie mit allen aufstehenden Holzbeständen. Ausgenommen von dem Verkauf sind nur die in der beigefügten Nachweisung, die als Bestandteil dieses Vertrages gilt, aufgeführten Gegenstände, für welche bis zu ihrer Verwertung unentgeltliche Lagerung im Bereich des Lagers Hembergen ausbedungen wird, und diejenigen Einrichtungen, welche der jetzigen Pächterin bzw. Mieterin Dynamit Aktiengesellschaft vormals Nobel & Co. in Hamburg - und deren Untermieterin, der Käuferin, gehören. Käuferin erkannt an, dass ihr der Zustand des Kaufgegenstandes bekannt ist. Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer sind ausgeschlossen insbesondere für Mängel, die durch Einwirkung der Interalliierten-Militär-Kontroll-Kommission entstehen. Etwa von der IMKK verlangte Änderungen an den Grundstücken, den Gebäuden und sonstigen Anlagen hat Käuferin ohne irgend einen Anspruch auf Erstattung der entstehenden Kosten, auf Kaufpreisminderung oder gar Rückgängigmachung des Kaufvertrages auszuführen. Der Käuferin ist bekannt, dass der Kaufgegenstand bis zum 30. Dezember 1923 an die Dynamit AG vormals Nobel & Co. in Hamburg vermietet ist. Die Käuferin tritt in diesem Mietvertrag als Vermieter ein und verpflichtet sich, den Verkäufer von allen aus diesem Mietvertrag sich ergebenden Verpflichtungen freizuhalten. § 2
Das aus fünf Komplexen bestehende Gelände liegt bei der Station Hembergen der Reichsbahn Münster - Rheine und ist rund 142 ha groß. Die genaue Größe und Grundbuchbezeichnung wird durch ein noch aufzustellendes Parzellenverzeichnis, welches einen Bestandteil dieses Vertrages bilden soll, nachgewiesen. § 3
Als Kaufpreis zahlt die Käuferin den Betrag von 100.000 Goldmark - wörtlich: einhunderttausend Goldmark - und zwar in englischen Pfunden effektiv oder in Reichsmark umgerechnet zum amtlichen Berliner Mittelkurs wobei ein englisches Pfund = 20 - zwanzig - Goldmark gilt. Die Zahlung erfolgt vor Auflassung innerhalb vier Wochen nach dem Zeitpunkte des Abschlusses dieses Vertrages. (Anmerkung: Die Reichsmark (Abkürzung RM) war von 1924 bis 1948 offizielles Zahlungsmittel der Weimarer Republik bzw. des Deutschen Reiches.) § 4
Sollte die Umschreibung im Grundbuch aller zu dem Grundstücke gehörenden Parzellen auf das Reich bis zur Auflassung an Käuferin noch nicht vollständig bewirkt sein, so werden zunächst nur die für den Reichsfiskus eingetragenen Parzellen aufgelassen. Die Auflassung der restlichen Parzellen geschieht unmittelbar nach erfolgter Auflassung an das Reich. Die Durchführung der noch nicht erledigten Wegeangelegenheit (Austausch der in das Gelände eingezogenen früheren Wegeparzellen gegen vom Reich zur Anlegung neuer Wege angekaufter Parzellen) liegt noch dem Landesfinanzamt Münster, ob. § 5
Ohne jeden Vorbehalt verpflichtet sich die Käuferin in das Vertragsverhältnis mit dem Elektrizitätswerk Westfalen wegen der Versorgung des Grundstücks mit elektrischer Energie und in den Anschlussgleisvertrag mit der Reichsbahn einzutreten. § 6
Käuferin tritt in die wegen der Weidenutzung und Verpachtung von Gartenland abgeschlossenen, zur Zeit noch laufenden Verträge ein und belässt sie mindestens bis Herbst 1923 in Kraft. Solle Käuferin bereits vor diesem Termin verpachtete Flächen für ihre Zwecke verwenden, so hat sie die Pächter auf Ansuchen zu entschädigen. § 7
Alle aus dem früheren Erwerb des Geländes durch das Reich oder infolge der Errichtung des Lagers durch die frühere Heeresverwaltung etwa noch herrührende, bisher aber seitens der früheren Grundeigentümer oder Anlieger noch nicht zur Sprache gebrachten und daher dem Reichsfiskus unbekannt gebliebenen Ansprüche irgend welcher Art, hat vom Tage des Vertragsabschlusses ab Käuferin zu erledigen und gegebenenfalls zu befriedigen. § 8
Käuferin verpflichtet sich, die vorhandenen betriebsfähigen Gleisanlagen nicht auszuschlachten, sondern liegen zu lassen oder im Lager bzw. ihren Betrieben nach Bedarf umzulegen. (Anmerkung: Diesen Paragrafen bemängelte zu einem späteren Zeitpunkt die IMKK) § 9
Sie verpflichtet sich gleichzeitig das Lager nebst den brauchbaren Gleisanlagen industriell unter Beschäftigung einer möglichst großen Arbeiterzahl zu verwerten. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung berechtigt den Verkäufer zum Rücktritt vom Vertrage. § 10
Käuferin verpflichtet sich, die vorhandenen und hierzu geeigneten Gebäude, soweit sie für einzurichtende Betriebe nicht verwendbar sind bzw. nicht gebraucht werden, zu Wohnzwecken einzurichten und in Verbindung mit dem Regierungspräsidenten zu Münster als dem Leiter der Ruhrflüchtlingsfürsorge möglichst Ruhrflüchtlinge dort unterzubringen und zu beschäftigen. Ferner verpflichtet sie sich, Geländeteile die etwa nicht industriell ausgenutzt werden, bevorzugt an Siedlungsgesellschaften zum Zwecke der sofortigen Ansiedlung von Arbeitern zu verkaufen. § 11
Eine Gewähr für die Freiheit der Grundstücke von dinglichen Lasten jeder Art übernimmt das Reich nicht. § 12
Käuferin gestattet die kostenfreie Benutzung der vorhandenen Gleisanlagen pp. zur Abstellung der noch dort befindlichen, ihr nicht gehörigen Beutewagen bis zu ihrem Abruf durch die Restitutionsbehörde oder zu ihrer anderweitigen Verwertung. (Anmerkung: Diesen Paragrafen bemängelte zu einem späteren Zeitpunkt die IMKK) § 13
Die Kosten der gerichtlichen Auflassung und Umschreibung tragen die Vertragsschließenden je zur Hälfte - bei notarieller Auflassung trägt die Käuferin die Kosten allein - während alle übrigen Kosten dies Vertrages und aus diesem Vertrage (Stempel Grunderwerbsteuer usw.) von Käuferin allein zu tragen sind. § 14
Dieser Vertrag ist zweifach ausgefertigt; jeder der Vertragsschließenden erhält eine Ausfertigung. Berlin, den 9. August 1923
(Anmerkung: Im § 3 liess sich die EHG auch den Text eintragen "Kaufpreis zahlt die Käuferin [...] in Reichsmark". Damit wurde der Gesellschaft die für sie günstigste Zahlungsvariante ermöglicht. Das war ein weiterer Skandal in der Verkaufsgeschichte der neuen Siedlung!) |