Ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 2006 - zusammengestellt von H.-J. Siepert

Hamsterzüge und Kohlenklau

Im April 1945 zogen britische und kanadische Truppen in Greven ein, und das Kriegsinferno endete. Glücklicherweise waren die Eisenbahnbrücken zwischen Münster und Rheine unbeschädigt geblieben und nicht, wie anderen Orts, von der zurückweichenden Wehrmacht gesprengt worden. Der Betrieb auf der Bahnlinie kam somit recht bald wieder in Gang, nur dass die wenigen verkehrenden Züge hoffnungslos überfüllt waren.

Die Einwohner Münsters hatten kaum etwas zu essen, und so fuhren diese Menschen mit der Bahn aufs Land, um Wertsachen gegen Lebensmittel einzutauschen. Was diesen Leuten zum Beispiel in Reckenfeld widerfahren konnte, beschreibt Karl Brüggemann, damals Lehrling auf dem Reckenfelder Bahnhof: Damals fuhren die Leute aus den Städten mit den Zügen aufs Land, um zu hamstern. Weil die Züge völlig überfüllt waren, wurden die Säcke und Taschen mit den Sachen außen an den Abteilwagen auf den Trittbrettern festgebunden. Die Polen (ehemalige, von den Deutschen verschleppte Zwangsarbeiter aus dem DP-Lager) hatten sich eine lange Stange mit einem Eisenhaken daran gebaut und mit einem langen Seil an einem Mast eines außerhalb gelegenen Signals befestigt und rissen damit von den vorbeifahrenden Zügen die Taschen und Säcke ab.

Es kam aber auch immer wieder vor, dass die Einheimischen vor lauter Not die Türen einiger Kohlenwagen der am Einfahrtssignal haltenden Güterzüge losrissen, um die Kohlen klauen zu können. Dann rutschten immer einige Tonnen Kohle in den Graben, die aber schnell in Säcke verstaut und fortgeschafft wurden. Wir als Eisenbahner und deren Familie hatten oft auch nichts zum Heizen. So haben wir öfter zu Lokführern der Züge, die bei uns hielten, gesagt: Ihr bekommt hier keine Ausfahrt, bevor wir nicht ein paar Kohlen von euch bekommen haben. Die meisten Lokführer haben gelacht und hatten Mitleid mit uns, und so bekamen wir Kohlen für unsere Öfen.

Nach der Währungsreform im Jahre 1949 war die größte Not bald überwunden, und die heimische Wirtschaft und Industrie nutzte die Bahn als Transportmittel, für die beginnenden Wirtschafts-Wunderjahre. Einige Grevener Betriebe verfügten über einen eigenen Gleisanschluss, um ihre Waren besser umschlagen zu können. Ältere Grevener können sich vielleicht an ein etwas kurioses Anschlussgleis erinnern, welches etwa 15 Meter vor den Schranken des großen Bahnübergangs die Bahnhofstraße überquerte, um dann links der Zufahrtstraße (heute Biederlackstraße) zum Bahnhofsgebäude zu folgen. Vor dem Bahnhofsgebäude endete das Gleis an einer Waggon-Drehscheibe zur Firma Hermann Biederlack. Eigentümer dieses Gleises war die Firma Josef Panhoff.

Aber auch andere Betriebe wie die Kohlenhandlung Johannes Bröker, die Kohlenhandlung Bernhard Pasing und die Bäuerliche Bezugs- und Absatz-Genossenschaft Greven erhielten hierüber die für sie bestimmten Güterwagen. Das Anschlussgleis durfte von großen Dampflokomotiven nicht befahren werden, sondern nur von der kleinen Diesellok des Typs Köf 2 des Bahnhofs Greven, die

Fahrgeschwindigkeit war auf fünf Stundenkilometer beschränkt.

Umständlich war das Überqueren der Bahnhofsstraße. Zuerst waren die Schranken des großen Bahnübergangs zu schließen, und dann war der Straßenverkehr zusätzlich durch einen Sicherungsposten mit einer Signalfahne vor dem Anschlussgleis aufzuhalten. Der umständliche Rangierbetrieb über die Bahnhofstraße endete im Jahre 1964, nachdem die Firma Biederlack einen eigenen, direkten Gleisanschluss über den Bahnhofsvorplatz zur Bundesbahn hatte bauen lassen.


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