Privatanschlussbahn

Von Dipl.-Ing. Dr. Gottfried Härtung, Regierungsbaumeister, Landau/Pfalz aus dem Jahr 1934

Die Gleisanlagen des Nahkampfmitteldepots Hembergen fielen unter den Begriff ‚Privatanschlussbahn'.

Nach dieser Feststellung schliesst sich die Frage an:

Was ist eine Privatanschlussbahn?

Man versteht in Deutschland unter einem Privatanschlussgleis ein nicht für den allgemeinen Verkehr bestimmtes Gleis, das von einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahn - kurz Stammbahn genannt - abzweigt und zwar entweder innerhalb eines Bahnhofes oder auf der freien Strecke. Vom Standpunkt der Stammbahn betrachtet ist das Privatanschlussgleis also eine fremde Eisenbahn mit der ihr eigenes Netz in unmittelbarem Zusammenhang steht, um den Übergang von Fahrzeugen zu ermöglichen. Es wird nach Gruppen 1, 2 und 3 unterschieden. Sie werden in Preussen durch die Präsidenten der staatlichen Eisenbahndirektionen überwacht. Die Präsidenten werden vom Minister der öffentlichen Arbeiten bestimmt. Nachdem die ausführlichen Vorarbeiten technisch von der zuständigen Eisenbahndirektion geprüft worden sind, erfolgt die landespolizeiliche Prüfung von dem zuständigen Regierungspräsidenten (Bezirksregierung) (Anmerkung: 1816 errichtet als mittlere Verwaltungsbehörde) hinsichtlich der berührten Wege [...] und der damit zusammenhängenden Vorflutverhältnisse. (Anmerkung: Der Gleisanschluss zum Nahkampfmitteldepot Hembergen fiel unter die Gruppe 2: ‚Einzelanschluss mit besonderem Übergabebahnhof' und zwar deshalb, weil ein täglich bzw. periodischer Wageneingang und -ausgang zu erwarten war. Die landespolizeiliche Prüfung erfolgte durch den Regierungspräsidenten).

Einzelheiten zur Gleisanlage

Bei Aufstellung eines Planes soll nach dem Prinzip der Arbeit am ‚laufenden Band' auch für die Bedienung der Anschlussgleisanlagen möglichst gleichlaufende Bewegungen erzielt werden. Die Bedienungsfahrten sollen unter Vermeidung wiederholtem Umsetzens der Maschinen, Kopfmachens der Züge oder Teilens bereits richtig geordneter Zuggruppen durchführbar sein, so die Richtlinien. (Anmerkung: Deshalb wurden vom Militär-Eisenbahnbauamt im Lageplan zwei Verbindungs- bzw. Anschlussgleise vorgesehen. Jedoch wurde nur ein Gleis, nämlich das Verbindungsgleis zum Abstellbahnhof, das nach Norden abgehende Gleis, gebaut).

Gleisanlagen innerhalb des Privatanschlusses

Für die Entscheidung, ob Freiladegleise oder Hallengleise, ob offene Längs- oder Querrampen, Rampen an Schuppen oder Lagerhäusern oder sonstige Spezialrampen zur Ausführung kommen sollen, sind Ladegut und Lademittel massgebend. Besser wie bei öffentlichen Ladestrassen, die meist zur Entladung der verschiedensten Güter verwendbar sein müssen, kann man sich bei Privatanschlussgleisen nach den Spezialerfordernissen richten. Normaler Weise hat die Stammbahnmaschine die Bedienung des Privatanschlusses bis in die Übergabegleise durchzuziehen. Daher unterliegen diese Gleisanlagen besonders strengen Vorschriften. Wenn Hauptbahnlokomotiven in das Privatanschlussgleis einfahren, sind Radien von mindestens 180 m Voraussetzung. (Anmerkungen: Die Schuppen im Depot wurden mit einer Rampe gebaut. Der Halbmesser (Radius) des Verbindungsgleises zwischen Staatsbahn und Depotgleisanlage betrug 250m, der Halbmesser der Gleise zu und in den Einzeldepots 180m).

Betriebsführung auf dem Privatanschluss

In Bezug auf die Betriebsführung eines Anschlusses ist eine Zweiteilung festzustellen. Einerseits sind die Bewegungen zur Zuführung der Bahnwagen von den Stammbahngleisen nach den Übergabegleisen und zum Abtransport aus den Übergabegleisen nach der Stammbahn durchzuführen, andererseits ist die Laderechtstellung und Rückführung der Bahnwagen in die Übergabegleise vorzunehmen. Die Stammbahn übernimmt den zuerst genannten Teil der Anschlussbedienung, während für die Lösung des zweiten Teiles dem Privatanschliesser völlig freie Hand gelassen ist. Nach § 67 der Bau- und Betriebsordnung und § 30 der "Betriebsvorschrift für Anschlussbahnen" müssen jedoch grössere Wagengruppen gezogen werden." (Anmerkung: Letzteres konnte im Nahkampfmitteldepot Hembergen nicht erfolgen, da ausser den Gleisen zu den Schuppen keine Weiter- bzw. Rückführungsgleise mehr gebaut wurden.)

Ausstattung des Privatanschlusses

Bei der Wahl des Oberbaumaterials hat man sich in erster Linie nach der Inanspruchnahme des Privatanschlussgleises zu richten. Es ist ein Unterschied, ob über das Gleis täglich ein Wagen geschoben wird oder ob die Gleisanlage einem umfangreichen, schweren Verkehr stand zu halten hat. Die Tatsache, dass der Privatanschliesser an seinem Gleis, sobald es richtig verlegt und die Unterhaltungspflicht der Baufirma erloschen ist, auf viele Jahre hinaus keine Regulierungs- und Umbauarbeiten vornehmen will, darf nicht übersehen werden. Daher erfordern Anlagen, die auf lange Sicht erbaut werden sollen, die Verwendung von nur erstklassigem Material. Das betrifft Schienen, Schwellen etc. Eisenschwellen liegen nur in Steinschlag (Nicht in Roll- oder Naturkies) einwandfrei und sind wegen ihres starken Rostens in Gegenden mit säurehaltiger Luft zu vermeiden.

Unter Mitbenutzung der Anschlussgleise können Einachsschlepper und zwei- oder mehrachsige Dampf-, Elektro- und Motorlokomotiven in Dienst gestellt werden. Will man sich über die Wahl der Schienen schlüssig werden, so ist zunächst an die Verwendung von Altmaterial zu denken. Man erhält Angebote über die verschiedensten Schienenprofile, die aus den Zeiten der Deutschen Staatseisenbahnen stammen. Bei der Wahl eines alten Schienenprofils ist darauf zu achten, dass auch bei Gleisregulierungsarbeiten in späteren Jahren für die Auswechselung des Kleineisenzeugs Ersatzstoffe vorhanden oder zu beschaffen sind. Es ist nicht ratsam, in einer Privatbahn verschiedene Schienenformen zu verlegen, denn dadurch wird die Umbauarbeit erschwert und ein grosser Ersatzstoff lag er wird erforderlich. Anmerkungen: a) Innerhalb des Depots konnte - aufgrund des Halbmessers von 250m des Verbindungsgleises in den Abstellbahnhof - bis zum Fahrdienstleitergebäude gefahren werden. b) Anmerkung: Im Depot wurden zwei verschiedene Schienenprofile verlegt.)

Spurweite

Die Wahl der Spurweite richtet sich in erster Linie nach der vorhandenen Spur der Stammbahn, an die angeschlossen werden soll. (Anmerkungen: a) Zum Nahkampfmitteldepot Hembergen: Da die Stammbahn - die Staatsbahn von Münster nach Rheine - die ‚Normalspur' hatte, wurde vom Kriegsministerium am 2. November 1916 ‚normalspuriger Bahnanschluss' beim Minister der öffentlichen Arbeiten beantragt. b) Normalspur bzw. Vollbahn hat eine Spurbreite von 1.435mm. Das ist der innere Schienenkopfabstand. Der Engländer Georg Stephenson (1781 - 1848) baute die erste Lokomotive im Jahr 1825 mit dem Spurmass 4 engl. Fuss und 8 ˝ engl. Zoll = 1.435mm. Dieses Grundmass der Spurweite wurde in den nachfolgenden Jahren beibehalten, weil anfangs alle Lokomotiven für die Eisenbahnen in Mitteleuropa aus England bezogen werden.)

Gebühren

Für die Zustellung der Wagen bis zur Übergabeanlage erhebt die Stammbahn eine Anschlussgebühr, die für jeden Wagen fällig ist. Die Bahn verrechnet für jede Leistung, die mit dem Privatanschlussgleis zusammenhängt, nach dem "Tarif für Pauschvergütungen bei Privatgleisanschlüssen" (P.P.T.) genau festgesetzten, etwa den Selbstkosten entsprechenden, Geldbeträge." (Anmerkung: Die Gleisanlagen des Nahkampfmitteldepots Hembergen wurden zwar als Privatanschlussbahn eingestuft, sie waren aber gleichzeitig eine Militär-Gleisanlage. Es ist anzunehmen, dass die Tarifgebühren vom Militär nicht voll entrichtet worden sind.)

In Preussen sind die Verhältnisse durch das "Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlussbahnen" vom 28. Juli 1892 geregelt. Ausserdem hat man sich bei der Projektierung und Ausführung an die "Betriebsvorschrift für Privatanschlussbahnen 1902 zu halten. (Anmerkung: Seit dem 5. Mai 1920 war die Verwaltung der preussischen Staatsbahnen auf das Reich übergegangen.)

Auszüge aus dem Gesetz vom 28. Juli 1892:

§ 3

Wenn auch der Regierungs-Präsident noch ausser für die Erteilung der Genehmigung allein zuständig ist, so empfiehlt es sich doch, in der Genehmigungsurkunde diejenige Eisenbahnbehörde zu bezeichnen, mit deren Einvernehmen die Genehmigung erteilt wird, damit der Unternehmer weiss, welche Eisenbahnbehörde für das Unternehmen bestellt ist.

§ 4

Die Genehmigung wird auf Grund vorgängiger polizeilicher Prüfung erteilt. Diese Prüfung beschränkt sich auf: die betriebssichere Beschaffenheit der Bahn und der Betriebsmittel, den Schutz gegen schädliche Einwirkungen der Anlage und des Betriebes, die technische Befähigung und Zuverlässigkeit der in dem äusseren, Betriebsdienste anzustellenden Bediensteten, die Wahrung der Interessen des öffentlichen Verkehrs.

§ 5

Dem Antrag auf Erteilung der Genehmigung sind die zur Beurteilung des Unternehmens in technischer und finanzieller Hinsicht erforderlichen Unterlagen, insbesondere ein Bauplan, beizufügen. In der Ausführungsanweisung vom 22. August 1892, die vom Minister des Innern und vom Minister der öffentlichen Arbeiten aufgestellt wurden, heisst es dazu: [...] In der Regel werden für einen mit Dampfkraft eingerichteten Betrieb nicht entbehrt werden können:

§ 9

Ausser den durch die polizeilichen Rücksichten (§ 4) gebotenen Verpflichtungen sind in der Genehmigung zugleich diejenigen zu bestimmen, welchen der Unternehmer im Interesse der Landesverteidigung und der Reichspostverwaltung zu genügen hat.

In der Ausführungsanweisung vom 22. August 1892, die vom Minister des Innern und vom Minister der öffentlichen Arbeiten aufgestellt wurden, heisst es dazu: [...] Die Anweisung betreffs der dem Unternehmer im Interesse der Landesverteidigung aufzuerlegenden Verpflichtungen bleibt besonderer Verfügung vorbehalten.

§ 15

Der Aushändigung der Genehmigungsurkunde müssen die [...] geforderten Sicherstellungen vorausgehen.

§ 17

In der Ausführungsanweisung vom 22. August 1892, die vom Minister des Innern und vom Minister der öffentlichen Arbeiten aufgestellt wurden, heisst es dazu: Die Planfeststellung durch den Regierungs-Präsidenten erfolgt im Einvernehmen mit der zuständigen Eisenbahnbehörde.

§ 19

Zur Eröffnung des Betriebes bedarf es der Erlaubnis der zur Erteilung der Genehmigung zuständigen Behörde. Die Erlaubnis ist zu versagen, sofern wesentliche in der Bau- und Betriebsgenehmigung gestellte Bedingungen nicht erfüllt sind.

In der Ausführungsanweisung vom 22. August 1892, die vom Minister des Innern und vom Minister der öffentlichen Arbeiten aufgestellt wurden, heisst es dazu: Die Erlaubnis zur Eröffnung des Betriebes erfolgt auf Grund einer örtlichen Besichtigung der Bahn durch die zur Genehmigung zuständige Behörde, also [...], durch den Regierungspräsidenten in Gemeinschaft mit der zuständigen Eisenbahnbehörde - Über das Ergebnis der Prüfung ist ein Protokoll aufzunehmen. (Anmerkung: Das Kriegsministerium am 2. November 1916: ‚ [...] die Genehmigung ist zu beantragen, aber nicht abzuwarten, sondern es ist umgehend mit dem Bau zu beginnen.')

§ 43

Privatanschlussbahnen, welche dem öffentlichen Verkehr nicht dienen, aber mit Eisenbahnen, welche den Bestimmungen des Gesetzes über die Eisenbahnunternehmungen vom 2. November 1838 unterliegen, [...] derart in unmittelbarer Gleisverbindung stehen, dass ein Übergang der Betriebsmittel stattfinden kann, bedürfen, wenn sie für den Betrieb mit Maschinen eingerichtet werden sollen, zur baulichen Herstellung und zum Betriebe polizeilicher Genehmigung

§ 44

Zur Erteilung der Genehmigung (§ 43) ist der Regierungspräsident, [...] im Einvernehmen mit der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten bezeichneten Eisenbahnbehörde zuständig.

§ 53

In der Ausführungsanweisung vom 22. August 1892, die vom Minister des Innern und vom Minister der öffentlichen Arbeiten aufgestellt wurden, heisst es dazu: In dem Falle vollständiger Unterwerfung eines Unternehmers unter die Bestimmungen des vorliegenden Gesetzes empfiehlt es sich in der Regel die Ausstellung einer Genehmigungsurkunde, damit die Rechte und Verpflichtungen des Unternehmens völlig zweifelsfrei gestellt werden. (Anmerkungen: a) Zum Bau des Nahkampfmitteldepots Hembergen beauftragte das Ministerium deshalb am 10. November 1916 die Königlichen Eisenbahndirektionen in Münster und Posen mit der Wahrnehmung und zur weiteren sofortigen Veranlassung. b) Die Eisenbahndirektion Münster bestand als Preussisch-Hessische Direktion seit dem 1. April 1895. Am 1. April 1921 wurde diese in Reichsbahndirektion umgewandelt. Unter der Direktion standen die Inspektionen, die seit Ende 1910 Ämter wie folgt hießen: Betriebsämter Münster, Rheine usw.)


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