Eine Kurzgeschichte

Josef und Manfred auf zwei Fahrrädern durch Reckenfeld im Jahr 2001

Es ist bereits 9.47 Uhr. In gut 10 Minuten kommt Josef mit dem Zug aus Münster. Josef ist derjenige, dem ich schon seit langem versprochen habe, Reckenfeld zu zeigen. Reckenfeld, ein Stadtteil von Greven, so jung und doch vollgestopft mit Geschichte und Geschichtchen.

Nach einer kurzen aber dafür um so herzlicheren Begrüßung kommt Josefs erster Kommentar.

"Was? Mit Fahrrädern wollen wir Reckenfeld abgrasen? Hast du runde Füße, oder weshalb willst du nicht laufen?"

"Reckenfeld ist in vielerlei Hinsicht was Besonderes, nicht nur wenn es um Entfernungen geht, warte ab!"

Ich übergebe Josef das mitgebrachte Fahrrad, er betrachtet es, und meint: "Na, putzen hättest du es aber auch noch gekonnt! - Was heißt, Reckenfeld ist etwas Besonderes, in welcher Hinsicht? Seid ihr alle Zugereiste? Das ist doch hier auch nur ein Dorf, deshalb, gib nicht so eine Welle an! Wie viel Einwohner habt ihr?"

"Wir haben bereits die 8.000er Grenze überschritten, und allein deshalb unterscheiden wir uns schon von euch Bösensellern!" "Ha, Ha!"

"Stimmt es wirklich, daß du noch nie in Reckenfeld warst? Reckenfeld liegt doch nicht auf dem Mond! So einen Ort kennt man doch, wenn man aus dem Münsterland stammt!"

"Mit dem Zug bin ich hier schon durchgerast, als ich vor Jahren ein Referat in Rheine gehalten habe, und natürlich vom Fußball: Bösensell spielt nämlich gelegentlich auch gegen euch, das kriege ich deshalb mit, weil es erstens in der Zeitung steht, und hören kann ich es auch, da der Sportplatz nur 100 Meter von unserem Haus entfernt ist. - So, das ist nun euer Reckenfeld, das ehemalige Munitionsdepot!"

"Um genau zu sein, Nahkampfmitteldepot, erbaut im Ersten Weltkrieg. Der Unterschied zu einem Munitionsdepot war, daß es sich hierbei um Munition nur für den Nahkampf handelte."

"Hier habe ich einen Plan, nach dem wir fahren können."

Während Josef sich etwas irritiert umschaut, fragt er: "Sag mal, wo ist eigentlich Euer Bahnhof"?

"Weg ist er! - Geschlossen wurde der Bahnhof Reckenfeld 1987, abgebrochen im August 1993! Das Bahnhofsgebäude, das hier einmal gestanden hat, wurde als Blockstelle mit dem Namen Hembergen 1917/1918 neu für das Depot gebaut."

Wir setzen uns langsam in Bewegung und dabei zeige ich auf ein helles Gebäude und weise darauf hin, daß dort schon vor dem Bau des Nahkampfmitteldepots der Bahnwärter wohnte.

Wir gehen 50m weiter nach rechts und stehen am Beginn eines Feldweges.

"Siehst du das Gebäude dort hinten?" frage ich meinen Begleiter.

"Das ist das neue Briefzentrum. Aber dieser Feldweg, vor dem wir stehen, den hat es schon vor 1828 gegeben. Schon zu dieser Zeit sind dieser Weg und weitere, die du noch sehen wirst, im Grundkataster von 1828, in dem damaligen Gelände "Reckenfeld" eingezeichnet."

"Du hast mir doch am Telefon gesagt, daß das Depot den Namen Hembergen hatte. Wieso das denn? Weshalb nicht Reckenfeld oder Greven? Emsdetten ist auch nicht weit entfernt! Aber Hembergen?"

"Das ist relativ einfach: Reckenfeld schon deshalb nicht, weil es nur ein Gelände war, kein Ort und keine Bauerschaft. Greven, den Namen gab es auch schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges mehrmals. Emsdetten nicht, weil es zum Landkreis Steinfurt gehörte, das Reckenfelder Gelände aber dem Landkreis Münster zugeordnet war, wie auch das Amt Greven. Was noch naheliegender und somit sehr einfach war: es gab bereits einen Namen, nämlich den der Blockstelle an der Bahnstrecke Münster - Rheine - Emden, und die hieß Hembergen!"

"Und wann genau wurde das Depot gebaut?" "Im Ersten Weltkrieg, aber darüber reden wir später noch." Wir sind inzwischen ein Stück weitergegangen und stehen vor dem Landhaus Rickermann.

"Sag mal Manfred, der Rickermann-Bau sieht nicht so aus, als sei er erst vor kurzem erbaut worden! Gab es etwa eine Kneipe im Depot?"

"Ich glaub's dir wohl! Im Depot haben u.a. Soldaten und Kriegsgefangene gearbeitet bzw. das Depot gebaut! Und als Belohnung gab es dann Schnaps und Bier in Mengen, na, das wär's noch gewesen. Nein, die Familie Rickermann baute nach 1929 in diesem Wohnhaus eine Gastwirtschaft. Später kam der Handel mit Produkten für die Bauern hinzu und danach noch der Kohlenhandel."

Wir steigen auf die Räder und fahren auf der linken Seite der Bahnhofstraße in Richtung Ortsmitte. An der Abzweigung in den Grünen Grund sage ich: "Josef, halte mal. Zwischen dieser Abzweigung von der jetzigen Bahnhofstraße, die damals Hemberger Weg hieß, wurde in dieser Richtung (ich zeige in Richtung Dorfmitte) ein Abstellbahnhof mit bis zu neun Gleisen in Normalspur gebaut! Und diese heutige Straße "Grüner Grund" wurde als Seitenweg des Abstellbahnhofs gleich mit gebaut. Ich zeige dir noch etwas: Schau dich einmal um. Dort, wo wir eben gestanden haben, an dem Feldweg, lag ein Ausziehgleis auf dem die Züge in dieses Depot hinein- und hinausfuhren, und hier ein paar Meter weiter links von der jetzigen Bahnhofstraße in den Abstellbahnhof mündeten. Die Trasse des Gleisbogens, wenn du genau hinsiehst, kannst du heute noch gut erkennen."

"Das hättest du schon eben sagen sollen, wir standen doch dort. Ich sehe diesen Bogen. Die Aufschüttungen sind noch erkennbar. Liegt denn das Gleis noch dort? Und, was heißt geplant? Waren es keine neun Gleise?" "Doch! Es waren neun Gleise. Und zu dem eben erwähnten Ausziehgleis: nein, soviel kann ich nun auch nicht bieten, das Gleis ist nicht mehr vorhanden." "So, nun laß uns weiterfahren."

Gesagt, getan. Als wir an der Feuerwehr ankommen, sagt Josef: "So, Reckenfeld hat eine Feuerwehr. Und der Radweg dort hinten, war der damals auch schon?"

"Was du hier alles siehst, ist aus der Neuzeit. Aber, im Depot gab es eine Feuerwehr. Die Feuerwache kann ich dir nachher auf einem Foto zeigen. - Dahinten, in Richtung Ortsmitte -, dort rechts steht ein Haus, davon ist ein Teil - nämlich der Keller - aus der Depotzeit."

"Laß sehen!" Während wir radeln, sagt Josef: "Wenn ich das richtig verstanden habe, war hier links von uns außer neun nebeneinanderliegenden Gleisen nichts. Das ist ja wie ein Güterbahnhof."

"Hier, Josef, auf diesem Plan, da kannst du es genau verfolgen, wie das hier ausgesehen hat: das geplante Nahkampfmitteldepot Hembergen."

Wir sehen uns den Plan genau an, und ich erzähle meinem Gast, daß dieses Depot eines von dreien in den damaligen Provinzen Preußens war. Und daß hier 22,6 Kilometer Gleise (ohne Übergabebahnhof) gelegen haben und das gesamte Depot in Einzeldepots untergliedert und diese räumlich weit auseinander gezogen waren, so wie es auch heute noch gut zu erkennen ist.

Inzwischen sind wir am Haus, Bahnhofstraße Nr. 21, angekommen.

"Siehst du rechts am Haus den höher gelegenen Eingang zum Wohnbereich? Das ist deshalb, weil darunter sich ein großer, fast quadratischer Keller mit sehr dicken Wänden und einem Tonnengewölbe verbirgt. Das war im Depot ein Wasserbehälter. Er ragte etwa 2 Meter über den Erdboden hinaus. Im gesamten Depot gab es 10 Stück davon. Und jeder dieser Wasserbehälter hatte ein Fassungsvermögen von ca. 200 cbm und diente als Reservoir, wenn es irgendwo gebrannt hat. Du weißt, das hier war ein Munitionsdepot."

"Nahkampfmitteldepot, mein Lieber! - Na, ob das Wasser allein geholfen hätte, wenn es hier geknallt hätte, ich weiß nicht so recht. Woher kam denn das Wasser? Gab es Brunnen, aus denen es gepumpt wurde?"

"Genau! Vor jedem Wasserbehälter war ein 5-7 Meter tiefer, gemauerter Brunnen. Und dieser Brunnen versorgte den Wasserbehälter mit Löschwasser."

Josef ist mit diesem Hinweis zufrieden. Deshalb fahren wir weiter bis zur Industriestraße.

"In Höhe dieser Abzweigung lief auch der vorhin erwähnte Abstellbahnhof aus, hier waren es noch etwa fünf der neun Gleise. Und dieser Weg, die jetzige Industriestraße, führte damals zu dem Verwaltungsbezirk, einer Ansammlung unterschiedlicher Gebäude. Wollen wir uns zunächst den ehemaligen Verwaltungsbezirk ansehen, oder später noch einmal hinfahren?"

"Das ist mir egal, du bist hier der ‚Anführer'".

"Bleib doch noch mal stehen, Josef. Dort, wo der größere Wohnblock steht, Bahnhofstraße. Nr. 3, dort war der Haupteingang zum gesamten Depot und ein Stück weiter in Richtung Industriestraße war eines der vielen Wagentore zum Depot. Und auch hier, mehr nach links - fast gegenüber der Einfahrt zur Industriestraße - stand das Fahrdienstleitergebäude. Später, ab den 30iger Jahren wurde es als Wohnhaus um- und ausgebaut."

Wir radeln weiter in die Industriestraße.

"Hier vorne links stand eine Holzbaracke und dann folgte eine Kläranlage, rechts von diesem Weg standen damals noch keine Bauten, also, was du hier siehst, ist alles danach erbaut worden."

"Verwaltungsbezirk deshalb, weil das Depot von hier aus verwaltet wurde? Was gab es denn zu verwalten?" "Josef, das kennst du doch aus deiner Behörde, wo gearbeitet wird, gibt es auch was zu verwalten." "So einfach machst du dir das?"

Wir sind an der Einfahrt zum Haus der Familie Patten Nr. 24-30 angekommen.

"Das Haus rechts von uns, welches keinen kasernenartigen Baustil hat, war das Wach- und Reviergebäude oder auch die Hauptwache für das Depot. Wir stehen am Haus Nr. 20 der Industriestraße. Wahrscheinlich war das Gebäude mit Offizieren besetzt. Es wurde deshalb auch zu einem späteren Zeitpunkt als Offiziersgebäude bezeichnet.

Das größere Haus, das ein bißchen zurückliegt, das war das Hauptverwaltungsgebäude. Heute ist es ein Mehrfamilienhaus, und seit vielen Jahren gehört es der Familie Patten. Das Haus hat eine wechselvolle Geschichte. Aber das will ich hier nicht näher erläutern, vielleicht später.

Dreh dich mal um. Hier standen gleich mehrere Depotgebäude: Dort, wo die schönen Einfamilienwohnhäuser stehen, war die Feuerwehr, weiter rechts davon war das Wasch- und Abortgebäude. Noch weiter rechts, das Wohlfahrtsgebäude. Ende der 20er Jahre wurde das Wohlfahrtsgebäude Eigentum der evangelischen Kirche, mit einem Bet- und einem Gemeindesaal und drei Wohnungen. Hier wohnten ab Ende der 20er Jahre u.a. die Küsterehepaare, die evangelischen Pastöre, später auch noch die Gemeindeschwester. Aber das nur am Rande."

"Ich komme noch einmal zurück auf das Hauptgebäude. Wenn es ein Hauptverwaltungsgebäude gegeben hat, so nehme ich an, gab es auch noch ‚Neben'-Verwaltungsgebäude?

"Ja, richtig, es gab noch drei weitere Verwaltungsgebäude. Und die gibt es alle noch, wie du bald sehen wirst. - Komm, laß uns weiterfahren, immer noch gerade aus.

Hier rechts, Josef, steht ein weiterer Wasserbehälter. Darauf dieses Haus, Industriestraße Nr. 32, gebaut wurde von der Familie Schulz, Mitte der 30iger Jahre."

Wir gehen ein paar Schritte weiter.

"Diese Einfahrt links führt zur Fabrik der Firma Primaflor, davor war hier die Jutefabrik von Heinrich Stolte, und zur Depotzeit war es das Betriebsgebäude (Lokomotivschuppen) und hier vorn, der hohe Turm, darin war der 10-kV-Transformator für das gesamte Depot untergebracht."

"Also, Strom gab es im Depot! Hatten die Schuppen, von denen du schon mal andeutungsweise gesprochen hast, auch Strom? Übrigens, bisher habe ich noch keinen Schuppen gesehen. Wieso eigentlich?"

"Zu Deiner ersten Frage: Die Schuppen hatten zwar Brennstellen, aber keinen elektrischen Strom. Und, es waren genau 208 Schuppen - die meisten wirst du bei guter Auffassungsgabe noch erkennen. Ich gehe davon aus, daß ein Lehrer das Zeug dazu mitbringt. Nicht wahr, Herr Studiendirektor?"

"Ich ziehe es vor, darauf nicht zu antworten! - Einen Lokomotivschuppen, so, den gab es also auch. Die Gleise zu diesem Lokschuppen, gingen die von dem eben erwähnten Abstellbahnhof ab?"

"Ja, ich zeige dir das nachher noch genauer auf dem Plan. Zunächst sehen wir uns das nächste Gebäude aus der Depotzeit an. Dieses Haus, rechts von der Einfahrt zum Lokomotivschuppen, war ein Stall für die Pferde im Depot."

"Also, hier haben die Soldaten Springreiten gemacht!"

"Wahrscheinlich, du Schlaumeier! Die Loren beim Bau und auch später die Waggons wurden auch von Pferden gezogen, denn es mußten viele davon fortbewegt werden. Wahrscheinlich reichten die kleinen Rangierloks doch nicht. - Die Holztore, die du hier rechts an dem ehemaligen Pferdestall siehst, stammen wahrscheinlich noch aus der direkten Zeit nach dem Bau des Depots. Stark, was? Was wir so alles zu bieten haben!"

"Gibt es noch mehr aus der damaligen Zeit hier an dieser Industriestraße?"

"Ja, aber Aufsteigen lohnt nicht. Dort, auf dem Gelände der Firma Fricke haben mehrere größere Baracken eines Arbeitslagers gestanden. Hier waren Gefangene unterschiedlicher Nationen untergebracht."

"Darf ich dich unterbrechen? Gefangene? Hier im Nahkampfmitteldepot?"

"Insgesamt standen hier 8 Baracken. Wenn ich die Aufzeichnungen richtig werte, waren sechs dieser Baracken etwa 30 Meter lang. Nimm das bitte zur Kenntnis. Das war so. - Und von dort hinten rechts, dort wo der Weg nur links und rechts abgeht, von der dortigen linken Abbiegung kam die 10-kV-Hochspannungsleitung. Das mit der Hochspannungsleitung wollte ich dir noch erzählen. Sonst ist hier weiter nichts Wichtiges mehr zu vermelden."

Die Sonne blinzelt ein wenig durch die Wolken. Es ist auch jetzt nicht mehr so kalt. Wir haben bereits Viertel nach Elf. Wir steigen wieder auf unsere Knetemänner und fahren die Industriestraße zurück bis zur Bahnhofstraße, biegen rechts ab, und ich teile meinem Gesprächspartner mit, daß wir uns nach etwa 150 Metern in der Ortsmitte befinden werden.

"So, das ist das Herz von Reckenfeld? Viel zu sehen ist aber nicht, ich meine, soviel Wohnhäuser sind es nun auch nicht. Und, es sieht alles so neu und gepflegt aus. Das können doch nicht alle ehemalige Schuppen gewesen sein. Oder? Wo sind sie denn nun, die ehemaligen Schuppen?"

"Hier in der besagten Mitte - wir stehen ein paar Meter vor der St. Franziskuskirche gegenüber der Bushaltestelle - hat auch kein Schuppen gestanden! Ein Schienenpaar bog links ab, hier entlang, vor der jetzigen katholischen Kirche, das andere Schienenpaar lief geradeaus, es folgten weitere Weichen die zu den Schuppen des Depots A führten.

"Wenn ich mir das hier so anschaue, hat Reckenfeld gar keine eigentliche Ortsmitte, wie wir es zum Beispiel in Bösensell haben. Mittendrin ist hier zwar eine Kirche und rundherum Wohnhäuser und Geschäfte und auch noch was anderes, aber dort sehe ich freies Gelände und dort auch."

"So ist es. Eine solche Ortsmitte , wie es in anderen Orten im Münsterland üblich ist, hat Reckenfeld nicht. Ich habe ja vorhin schon einmal gesagt, Reckenfeld ist was Besonderes…"

"Wir stehen also an dem Punkt, von dem die Güterwagen nach links oder gerade aus in die Depots geleitet wurden? Wie viele Einzeldepots waren das noch mal?"

"Vier. Hier links, wie es auch noch in etwa zu erkennen ist, wenn du den Blick Richtung Kirche steuerst, führten die Gleise zu den Depots C und D. Und gerade aus ging es zu den beiden Depots A und B."

"Das kann man sich ja einfach merken. In welchen dieser Depots radeln wir nun?" "Sollen wir mit A beginnen? Es gilt auch heute noch diese Bezeichnung A, B, C oder D, nur daß es nicht Depot A heißt, sondern Block A. Das gilt natürlich für die drei anderen entsprechend. Wir haben früher, und ich wohne nun schon über 60 Jahre in Reckenfeld, gesagt: Ich war in B, oder ich wohne in C. Depot oder Block ließ man einfach weg."

"Die Oldies, so wie du, sprechen wahrscheinlich alle so, oder?"

"Was mir noch einfällt: Es gab in jedem Depot 52 Schuppen, nach Adam Riese sind das 208 Schuppen im ganzen Depot."

"Das sagtest du schon einmal mit den 208 Schuppen."

"Kann ich wissen, daß du das behalten hast? - Dazu kommen noch die Gebäude im ehemaligen Verwaltungsbezirk (heutige Industriestraße) und weitere Verwaltungsgebäude, die Pförtnerhäuser, die Transformatorenhäuschen, außerdem noch einige Baracken, und nicht zu vergessen, die 10 Wasserspeicher! Und wo wir schon einmal dabei sind: Das ganze Depot war umwehrt, sprich eingezäunt. Und es gab Sonderbereiche, die noch einen eigenen Zaun hatten."

"Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn hier Munition gelagert werden sollte, dann müßte das Depot eigentlich eingezäunt gewesen sein. Daß da ein Zaun oder etwas ähnliches dazugehört, leuchtet mir schon ein. Wurde das Depot denn auch bewacht?"

"Ich gehe davon aus. - Wenn wir allerdings hier noch weiterquatschen, sehen wir nichts. Also los, ehemalige Schuppen ausfindig machen! Wir biegen aber zunächst an der großen Kreuzung da vorn rechts ab."

Wir schieben unsere Fahrräder über den Zebrastreifen beim Cafe Schulz und stehen an der rechten Seite der Emsdettener Landstraße.

"Emsdettener Landstraße", meinst du diese Straße? - Die überqueren wir jetzt? Und da sind dann endlich Schuppen zu erkennen?"

"Das habe ich nicht gesagt. Aber der Reihe nach: Hier, rechts neben dem Eingang zum Cafe, das höhere viereckige Haus, davor war das Eingangtor und das Pförtnerhaus zum Depot A."

"Was ihr alles so hattet. Jetzt auch noch ein weiteres Pförtnerhaus! Saß denn da jemand drin?" "Habe keinen gesehen!"

Wir lachen beide laut auf.

"Es geht weiter! Diese heutige Emsdettener Landstraße war ein Posten- und Spritzenweg, - hier lief kein Gleisstrang entlang, weil auch hier keine Schuppen waren. Rund um das Depot A verlief auch der eben erwähnte Zaun. Zwei Meter hohe Zementpfeiler waren in einem Fundament verankert, Maschen- und Stacheldraht sicherte den Bereich ab."

"Und das soll ich alles behalten? Aber was ich eben schon fragen wollte: Gibt es eigentlich noch Fotos vom Depot? Und zweitens, waren diese Gleis- und Wegführungen in allen Depots gleich angelegt."

"Zu den Fotos: Es gibt tatsächlich noch welche. Die 1. Abbiegung zum Depot war immer der Posten- und Spritzenweg mit der Einzäunung, und an diesem Weg waren jeweils die bereits erwähnten zwei Wasserbehälter, und noch etwas, was ganz neu für dich ist: In drei von vier Depots gab es ein Transformatorenhäuschen. Spritzenweg deshalb, weil hier die Feuerwehrspritzen entlang fahren sollten."

"Die Stromleitungen, liefen sie oberirdisch?" "Nein, vom Haupttransformator im Verwaltungsbezirk - du erinnerst dich an die Industriestraße? - liefen zu den einzelnen Gruppentransformatoren in den Depots unterirdisch die Leitungen." "Das ist alles Theorie für mich, ich vergesse doch manches. Zeig mir jetzt mal lieber einen ehemaligen Schuppen."

Wir schwingen uns auf unsere Räder und fahren auf der Steinfurter Straße entlang und biegen nach rechts in die Schillerstraße ein. Am Haus Schillerstraße Nr. 9 angekommen, halte ich so abrupt, daß mir Josef beinahe in die Karre gefahren wäre.

"Der linke Teil des Hauses wurde später angebaut. Was uns interessiert, ist der rechte Teil dieses Hauses, das war so ein Schuppen: 10 Meter breit und mit einer vier Meter breiten Laderampe, was heute der Aufgang zur Wohnung ist. Und direkt an dieser Rampe verliefen die Schienen. Die Höhe der Rampe (1,10m über dem Gleis) war auch gleichzeitig der (Beton)-Boden des Schuppens, und die Rampe hatte die Höhe des Bodens im Waggon. Und so konnte Munition schnell ein- bzw. ausgeladen werden."

"Was war denn unter dem Betonboden, denn da ist ja fast ein Meter Zwischenraum?" "Darunter war Sand und was man so über hatte an Füllboden. Man wollte ganz sichergehen. Munition kann wohl kaum Nässe vertragen. Und dieses Gelände mit dem Namen Reckenfeld, das hatte man in Berlin erkannt, war zu einem großen Teil sumpfig. Also legte man den Boden des Schuppens so hoch, daß kein Wasser an die Munition gelangen konnte."

"Nein. Sag mir wenigstens noch, waren die Schuppen alle gemauert, also per Pfote erstellt?"

"Ja, ganz sicher. Das Fundament bestand aus Ziegelsteinen, und zwar solche, die sehr hart gebrannt waren. Reckenfelder haben mir erzählt, das waren "Zechensteine". Was das auch immer heißen mag, wer an dem Fundament arbeiten mußte, hatte große Schwierigkeiten, denn mit normalem Meißel oder auch mit elektrischen Bohrern war es sehr sehr schwer, das Fundament zu bearbeiten. Wo wir schon mal bei diesem Thema sind: In einigen Wasserbehältern wurden später - so ab 1930 und danach von den neuen Besitzern Fenster und Eingänge eingebaut. Das hat sicherlich große Schwierigkeiten gemacht, deshalb, weil die Klinker so hart waren. Selbst der Putz an den Innenwänden ist ‚knochenhart'."

"Vielleicht ist der Stein erst im Verlauf der vielen Jahre ausgehärtet."

"Das kann natürlich auch sein. - Das war genug der Einzelheiten. Es gab noch Schuppen die 30 Meter und sogar 50 Meter lang waren, die dann entsprechend längere Rampen hatten."

"Und wie viel von den ‚Langen' gab es in jedem dieser Depots?"

"Also, jeder Block hatte 42 Schuppen(A) mit einer Breite von 10 Metern,6 Schuppen (B) zu je 30 Meter und 4 Schuppen (C) zu je 50 Metern. Auch diese unterschiedliche Schuppenlänge wirst du noch an einigen Stellen erkennen können. Komm, wir sehen uns einen ehemaligen 50-Meter-Schuppen an. Die älteren Reckenfelder sprachen bei den 50-Meter-Schuppen von ‚D-Zügen'.

Wir fahren weiter, und währenddessen bequatsche ich mit meinem Mitradler, daß die auf der Zeichnung befindlichen Gleise nicht alle verlegt wurden, und wörtlich: "Das Depot, das du auf dem Plan gesehen hast, ist so nicht fertiggestellt worden. Es wurden z. B. statt der geplanten 30 km Gleise nur etwa 23 Kilometer verlegt, und auch einige Gebäude - z. B. an der heutigen Industriestraße - wurden nicht komplett fertig." "Und was war der Grund?"

"Die Kriegslage hatte sich wesentlich verändert, und es fehlte an Material an allen Ecken und Kanten!"

"Sollten denn die restlichen Gleise dafür genutzt werden, um nicht noch mehr Waggons rangieren zu müssen?"

"Das nehme ich auch an. Das wäre für den Ablauf natürlich optimal gewesen. Sehr gut kann man das auf dem Lageplan sehen, alle Gleise führen zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Aber auch so war die Funktionalität des Depots gegeben. - Weißt du eigentlich wie spät es schon ist? Ich habe Mechthild versprochen, wir sind pünktlich um ½1 zu Hause. Es gibt Reibeplätzchen! Aber mit Zucker mein Lieber."

"Wie, du als Westfale Reibeplätzchen mit Zucker statt mit Apfelmus essen kannst, das erkläre mir bitte. Aber nicht jetzt. Sag mir lieber wie weit wollen wir noch fahren?"

"Wir sollten in A noch einige Stellen abklabastern und dann Mittag machen. Die anderen drei Blöcke wiederholen sich im wesentlichen. Es gibt aber noch einiges andere zu sehen. Deshalb sollten wir spätestens um 14 Uhr wieder auf der Leeze sitzen und als erstes nach B radeln."

"Ich habe Gisela versprochen, den Zug um 17.04 zu nehmen. Sie wartet in Münster auf mich." "Alles klar!"

Zu Hause angekommen, steht Mechthild schon am Küchenfenster. Wir riechen es schon an der Garageneinfahrt: Es gibt Reibeplätzchen. Wir bekommen einen kleineren Rüffel, weil es bereits viertel vor eins ist.

Mechthild: "Pünktlichkeit ist nicht eure Stärke, meine Herren!" Manfred: "Ich wäre pünktlich gewesen, Josef wollte noch [...]" Mechthild: "Das ist mir egal, ihr seid doch beide zu spät, oder gehen eure Uhren anders. Josef hast du überhaupt eine Armbanduhr um?" Josef: "Ne, ich trage nie eine [...]"

Wir essen und sind anschließend rundum satt, schauen uns noch einmal den Plan an und legen fest, wie wir unsere Reise fortsetzen wollen. Die Sonne scheint immer noch, es ist ein herrlicher Herbsttag. Auf dem Weg nach B bleibe ich an der Kreuzung Steinfurter Str./Marienfriedstr. stehen und erkläre: "Dieser Weg - die Marienfriedstraße - führt links zum Block C und rechts nach Emsdetten. Auch dieser Weg war eine alte Verbindung für die Bauern in dem Reckenfeld gewesen; übrigens auch im Urkataster von 1828 enthalten."

"Ja, Ja, das ist aber mehr zufällig, oder, was auch sein kann, daß den Planern in Berlin diese alten Wege gut zu Paß kamen, denn wie du weißt, waren die Einzeldepots alle umzäunt, und da dieser Weg und noch weitere jeweils dazwischen lagen, konnte die Bauern zu ihren Feldern außerhalb des Depots gelangen und die Planer mußten nicht noch was erfinden, was den Bauern die Möglichkeit gab, zu ihren Feldern zu gelangen."

"Da fällt mir gerade was ein: Weißt du, was die Besitzer für die Ländereien vom Staat erhalten haben?"

"Das ist ein trauriges Kapitel für die damaligen Besitzer. Im Klartext: Die Bauern - meistens in den Bauerschaften Herbern und Hembergen wohnend - wurden quasi vom Staat enteignet. Sie haben nur einen Bruchteil des eigentlichen Wertes erhalten. Aber darüber später mehr. Als Beispiel: Einer der Bauern hat für ca. 28.000 qm nur etwas über 400,-- Reichsmark erhalten." "Und was würde man heute dafür bekommen?"

"Das kann man nicht mit heute vergleichen, aber dennoch scheint mir der Betrag nur ein Hungerlohn gewesen zu sein. - Noch einmal zurück zu den Wegen: Wenn hier Sprengstoff gelagert werden sollte bzw. gelagert worden ist, wie du behauptest, dann scheint es doch logisch, daß man "freie Felder" haben mußte, um bei Explosionen, nicht gleich das ganze Depot in die Luft zu jagen."

"Das ist gar nicht so abwegig. Auch die Gebäude, wie dieses hier vor uns, das jetzige Haus Marienfried, lag zwischen zwei größeren Explosionsherden." "Ach so, dieser lange Bau gehörte auch zum Depot Hembergen?"

Ja, es hieß offiziell "Verwaltungsgebäude für das Depot B". Und von diesem Haus 60 Meter weiter in Richtung B stand das Eingangstor und Pförtnerhaus zum Depot B." - "Und wo steht das Gebäude für das Depot A?" "Das sehen wir nachher."

Wir sehen uns das Haus Marienfried etwas näher an. Erstaunt ist Josef von den Ausmaßen, von der Größe dieses Baues. Es ist zwar nach der Fertigstellung einiges angebaut worden, aber der Charakter des Hauses ist erhalten geblieben.

Wir radeln weiter bis zur Abbiegung Wiesenstraße. Ein blaues Schild weist uns daraufhin, daß wir uns nur mit 7 km/h fortbewegen dürfen. Hoffentlich fallen wir nicht vom Fahrrad, wenn wir so langsam fahren müssen.

"Wir haben eben von alten Wegen gesprochen, Josef. Hier links, dieser Weg vorbei an den Glascontainern - der war bis vor einigen Jahren noch eine staubige Schotterpiste - führt zum Max-Klemens-Kanal. Die hohen Bäume dort hinten, siehst du die, dort zieht sich der Max-Klemens-Kanal entlang. Am Max-Klemens-Kanal endete der ehemalige Hemberger Weg. Wollen wir dort auch noch hinfahren?"

"Ich glaube, unsere Zeit reicht nicht. Außerdem kenne ich den Max-Klemens-Kanal von der Kanalstraße in Münster."

"Was steht dort auf dem Straßenschild? Wiesenstraße?" "Hast du keine Gläser in der Brille oder willst du nicht lesen, was dort steht? - Die Wiesenstraße, das war die 1. Abbiegung im Depot B, genau so wie die 1. Abbiegung im Depot A, der Weg war, der heute als Straße nach Emsdetten führt."

"Ach so, dann standen auch hier entlang der Wiesenstraße keine Schuppen."

"Richtig, hier standen nur die zwei Wasserbehälter. Und beide sind noch von außen als solche zu erkennen. Ich gebe allerdings zu, man muß es wissen."

"Gibt es in diesem Block noch Schuppen im Originalzustand oder daß man diese noch als solche erkennen kann?"

"Gut, daß du das ansprichst. Hier steht wirklich noch ein Schuppen. Laß uns sofort dort hinfahren, bevor wir es vergessen."

Ich erkläre beim Radeln meinem Gast, wo die Umzäunung entlang der heutigen Wiesenstraße gestanden hat, und daß auch die Wiesenstraße damals ein Posten- und Spritzenweg war. Und wie aus heiterem Himmel fragt Josef: "Gab es eigentlich Licht in diesen Depots an den Kontrollwegen?"

"Das weiß ich nicht. Ich gehe aber davon aus, da das ganze Depot nicht komplett fertiggestellt worden ist, daß dieser Luxus einer Ausleuchtung von Kontrollwegen vernachlässigt werden mußte."

Als wir nach links in die Querstraße - Ginsterweg - einbiegen, zeige ich das Haus mit der Nummer Wiesenstraße 25 auf der rechten Seite, das auf einem ehemaligen Wasserbehälter steht. "Das Haus hat auch so einen höheren Absatz am Eingang, wie wir es an dem Haus an der Bahnhofstraße gesehen haben."

Wir biegen vom Ginsterweg rechts in den Rosenweg ein und bleiben an dem Haus Nr. 21 stehen und betrachten uns den noch zum großen Teil erhalten gebliebenen Schuppen. Wir fahren das Stück auf dem Rosenweg wieder zurück, biegen nach rechts ab, fahren bis zur letzten Straße, dem Eichenweg, und verlassen den Block B. Ich erkläre, daß dieser Weg ebenfalls ein Postenweg war und zwar der, der am äußeren Bereich des Gesamtdepots lag.

Wir blicken noch einmal auf den Max Klemens Kanal und radeln dann die Steinfurter Straße bis zur Kreuzung Steinfurter Straße / Marienfriedstraße und biegen nach rechts ab.

"Befinden wir uns auf dem geraden Weg zu den beiden anderen Depots? Denn das ist hier ja auch eine größere freie Fläche zwischen den beiden Depots hinter uns. Oder?"

"Die Marienfriedstraße - ich zeige in Richtung Süden - endet nach einigen hundert Metern, und dort ist dann der Block C. Am gegenüberliegenden Ende des Blocks C (Lennestraße) geht dieser Weg weiter. "Ich weiß schon was jetzt kommt: 1828 war dieser Weg auch schon vorhanden. Oder, was wolltest du sagen?"

"[...] mindestens, 1828 war diese Verbindung durchgehend. - Die Planer in Berlin wollten den Durchgang im Depot C nicht und machten ihn dicht. Wer also von hier kam, zum Beispiel ein Bauer mit seinem Gaul aus Hollingen bei Emsdetten, der stand vor einem Zaun. An dem Zaun war für Bauer und Gaul Sense."

"Der Bauer hatte also die schlechtere Karte gezogen [...] ich verstehe! Können wir weiterfahren oder landen wir auf einem Hof oder in einem Garten?"

"Das Haus, auf den dieser Weg zuläuft, war ein großer Schuppen."

"Na endlich, der 1. Weg in einem Depot, der auch Schuppen hatte."

"Aber nur deshalb, weil die 1. Abbiegung vom Hauptgleis in das Depot C, Ende der 20er Jahre von den Reckenfeldern zugeschüttet worden ist, und sich zum Teil heute, anstatt der Straße Gärten befinden."

"Also landen wir doch in einem Garten."

"Vielleicht auch in einem Graben, wenn du nicht ordentlich fährst. In C sehen wir noch fast alle Gräben, die entlang der Gleise 1917 ausgehoben wurden."

Wir sind inzwischen aufgestiegen und radeln in Richtung Süden.

"Wenn wir gleich auf der Emsstraße sind, biegen wir nach rechts, fahren ca. 200 m und sehen uns auf der rechten Seite den ehemaligen Wasserbehälter an, dann radeln wir zurück und bleiben auf der Emsstraße und fahren bis zur Ecke Emsstraße/ Ruhrweg - hier stand der 2. Wasserbehälter des Depots C."

"Gibt es denn Aussagen oder Unterlagen, aus denen hervorgeht, ob das mit den Gräben bzw. mit der Entwässerung geklappt hat?"

"Hat wohl nicht. Denn das Gefälle in den Depots ist sehr gering. Im Sommer waren die Gräben sicherlich trocken und im Herbst, wenn es viel geregnet hat, zog das Wasser nicht schnell genug ab. Ich kann mich sehr gut erinnern, daß in der letzten Straße dieses Blocks C - das ist die Lennestraße - in den 50er Jahren im Herbst ständig Wasser auf der Straße war, und meine Mutter zum Einkaufen mit Gummistiefeln zu Quibeldey ging oder mit dem Fahrrad fuhr, was nicht ungefährlich war, weil man nicht erkennen konnte, wie tief das Wasser war und wo der Graben entlang lief. Und noch etwas zur Lennestraße: Dort befindet sich heute noch ein Originalschuppen bei dem nur die Rampe fehlt. Breite, Höhe und sonstige Maße sind erhalten geblieben. Sollen wird dort hinfahren?"

"Von mir aus, ja!"

Wir fahren den ehemaligen Querweg, den heutigen Ruhrweg entlang, und landen direkt an dem ehemaligen Schuppender Familie Börger an der Lennestraße. Was an diesem Schuppen fehlt, ist die Rampe. Josef staunt nicht schlecht. Wir halten an. Ich erkläre ihm Einzelheiten dieses Schuppentyps.

Wir steigen auf unsere Knetemänner und fahren die Lennestraße rechts entlang und biegen nach 200m links in die Elbestraße nach D ein. Ich halte an. Josef stutzt. Wir stehen zwischen den Häusern der Lennestraße 29 und 31.

"Was ist denn jetzt? Willst du mir erklären, daß diese beiden Häuser früher Schuppen waren?"

"Jawohl, mein Herr! Das war ein ‚D-Zug', ein 50-Meterschuppen. Die Mitte des Schuppens wurde abgebrochen und dafür dieser Durchgangsweg, die Elbestraße, nach D geschaffen."

Wir radeln weiter und bleiben erneut stehen und zwar an der Kreuzung Elbestraße und Sandweg - wie der Weg ab hier heißt - und der Kanalstraße.

"Dieser Weg zwischen zwei Depots und die große Freifläche zwischen den Depots wieder typisch für die Depotanlage."

"Das paßte den Planern, so vermute ich, gut ins Konzept: Mehrere Wege für die Bauern zu belassen und trotzdem ausreichend Sicherheitsabstand zu haben. Aber das Thema hatten wir ja schon."

"Könnte trotzdem gefährlich für die Bauern gewesen sein!"

"Da fällt mir ein, daß es bei einer Unachtsamkeit eines arbeitenden Bauern zu einem Heide- oder Flächenbrand gekommen ist. Genau hier, zwischen den Depots C und D ist das gewesen."

Wir biegen am Ende des Sandweges nach links in die Adlerstraße. Josef ist sich ziemlich sicher: "Dann waren auch hier wieder die zwei Wasserbunker!"

"Bravo, ich muß dich loben. Gleich hier vorn, an der Ecke Adlerstraße/Elsterweg stand er, der Wasserbunker , wie du ihn nennst. Und der zweite Wasserbehälter stand an der Ecke Adlerstraße/Schwalbenweg. Und, auch von dem Wasserbehälter wurde Wasser zu Hydranten geleitet. Hier an der Querstraße, dem Elsterweg, standen insgesamt zehn Hydranten. Es war geplant, an allen Querwegen Hydranten zu installieren."

"Hydranten? Das ist nun ganz neu, zumindest für mich."

"Hab ich das noch nicht erzählt, daß an allen Querwegen in den Depots Hydranten gestanden haben?" "Nein, hast du nicht."

"Na, dann weißt du es jetzt." "Du hast mich unterbrochen. Ich wollte doch was ganz anderes sagen. Jetzt hab ich es vergessen."

Halt, Stop: Ich weiß noch, da war ich ein kleiner Junge, als dieser Speicher von den Engländern gesprengt wurde. Zur gleichen Zeit wurden noch weitere Wasserbehälter gesprengt."

Ich zeige Josef die gegenüberliegende Wiese, auf der wir in ausreichendem Abstand von der Sprengung gesessen und zugeschaut haben.

"Von den Engländern deshalb, weil das Depot eine militärische Anlage war? Und wann war das?"

"Huh, so um 1948/1949?"

Wir fahren in Richtung Grevener Landstraße [...] Ich stoppe an der Adlerstraße Nr. 3, steige aber nicht vom Rad.

"Hast'n Platten oder was ist?"

"Quatsch! Hier, hinter den Bäumen, man kann es noch erkennen: Das Häuschen war eines von drei Transformatorenhäuschen des Depots. Insgesamt standen drei dieser Zwischen-Trafos im Depot. Dieser Trafo hier erhielt Strom vom Haupttransformator - du erinnerst dich - an der Industriestraße."

"Wieso nur drei Trafos?"

"Im Depot B stand keiner. Wahrscheinlich gehörte das Nichterstellen zu dem Teil, was aus Zeitgründen nicht mehr gebaut werden konnte."

Es ist bereits 15.30 Uhr, eine Stunde haben wir noch. Wir fahren weiter und biegen in die Grevener Landstraße ein, als Josef die Schule rechts sieht:

"Das ist auch ein Gebäude aus der Depotzeit?"

"Sehr wohl mein Herr, Sie liegen richtig. Das war das Verwaltungsgebäude für das Depot D!

Und auf der gegenüberliegenden Seite stand das Tor mit Pförtnerhaus zum Depot D." Wir radeln wieder, blicken nach links in die Kanalstraße und rechts in den Wittlerdamm, und weiter geht es auf dem rechten Radweg der Grevener Landstraße in Richtung Ortsmitte. In Höhe der Gaststätte Ernst wechseln wir die Straßenseite, wobei Josef laut ruft: "Wo willst du denn jetzt hin?".

"Abwarten!" An der Abzweigung Ems-/Weserstraße bleibe ich stehen."

"Was ich dir noch nicht gezeigt habe, ist der Verlauf der Schienen in einer Kurve und die Breite der ehemaligen Gleistrasse." "Dann zeig mal, was du zu bieten hast."

Wir biegen in die Weserstraße ein und fahren etwa 50 Meter. "Siehst du, wie die Weserstraße dort einen Bogen nach rechts macht? Das ist der Originalverlauf des Schienenstranges, die Originalbreite des Gleises incl. des Schotters und an der rechten Seite der Graben - und dort links stand auch der erste Schuppen in dieser Gleisreihe. Ein Stückchen weiter - etwa 50 Meter - stand der nächste Schuppen. Bahntechnisch gesehen hatte dieser Bogen einen Halbmesser von 180 Meter. Da staunst'e, was?

"Komm laß uns in die Pedale treten. Und diese Kreuzung. Moorweg/Grevener Landstraße [...]" "Ich weiß schon was jetzt kommt [...] der Moorweg stammt aus dem vorherigen Jahrhundert [...]"

"So ist es, aber hier kommt noch etwas hinzu. Die Grevener Landstraße, auf der wir soeben entlang gefahren sind, wurde für das Depot gebaut. Hier war vorher nur Wiese und ein bißchen Wald."

Wir steigen wieder auf unsere Knetemänner und fahren weiter in Richtung Ortsmitte. "Wenn ich richtig gezählt habe, fehlen noch zwei große Gebäude, diese Verwaltungskästen, oder sind wir schon dran vorbei?"

"Nicht unruhig werden, Josef. Wir sind gleich da. Aber, es sind nicht zwei, sondern es ist nur noch ein Gebäude. Da vorne siehst du es. Das ist das heutige Deutsche Haus. Zu Depotzeiten war es das Doppelverwaltungsgebäude, deshalb, weil es für die Depots A und C gebaut wurde."

"Na, das ist ja ein Bau. Sieht übrigens gepflegt aus. Und groß ist er, größer als die anderen, oder täusche ich mich?"

Wir sind am ‚Deutschen Haus angekommen und halten an. "Du hast Recht. Es ist größer als die anderen beiden Verwaltungsgebäude. Hast du Durst? Sollen wir hineingehen und ein Pils trinken?"

"Ne, laß mal, ich muß doch noch Auto fahren!"

"Dann nicht, ich hätte sogar einen ausgegeben! "

Josef, so, wie die Autos vor diesem Haus vorbeifahren, so verlief auch das Gleis zu den Depots C und D. Und eine Umwehrung stand auch hier. Ein Stück weiter rechts von dem Haus, das ist der Walgenbach oder auch der Kailachegraben, der auch schon vor dem Bau des Depots hier war. Mit dem Bau des Max Klemens Kanals wurde der Abzugsgraben durch die Kailache gebaut. Der Abzugsgraben war die Hauptentwässerung des damaligen Reckenfeldes und diente zu Depotzeiten auch als Entwässerung für dieses Gebäude hier."

"Sind wir einmal rund gefahren? Dort vorne ist doch eure Dorfmitte."

"Ortsmitte, bitte. Im Prinzip war es das, Josef. Hast du noch Fragen?"

"Hab ich aber nicht. Das reicht mir. Es war sehr interessant, aber mir brummt der Schädel. Das ist ja schlimmer, als fünf Stunden Unterricht."

"Das kommt davon, weil du diesmal hast zuhören müssen."

Wir fahren zu uns nach Hause. Es wird auch höchste Zeit, denn bis zur Zugabfahrt um 17.04 Uhr ist es nicht mehr lange. Wir halten kurz bei uns an und radeln dann zum Bahnhof Reckenfeld. Wir verabschieden uns. Als ich wieder auf dem Heimweg bin, erst da fällt mir auf, daß dunkle Regenwolken von Westen heranziehen, und es fängt auch schon an zu nieseln. Da haben wir noch einmal Glück gehabt.


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